Annalena Baerbock spricht bei den UN. (Archivbild: 26.09.2024)

UN-Vollversammlung Baerbock will mehr als nur Sitzungspräsidentin sein

Stand: 02.06.2025 01:48 Uhr

Die frühere deutsche Außenministerin Baerbock soll heute zur Präsidentin der UN-Vollversammlung gewählt werden. Die Personalie sorgte bereits für Kritik - auch weil sie ihre Rolle anders ausüben will als ihre Vorgänger.

Normalerweise erfolgt die Wahl des Präsidenten der UN-Vollversammlung unspektakulär per Akklamation. Die UN-Botschafter der 193 Mitgliedsstaaten applaudieren höflich. Der aktuelle Amtsinhaber gratuliert und freut sich, dass ein Nachfolger gefunden wurde, der den Job ab September für ein Jahr übernimmt.

Denn obwohl es um das protokollarisch höchste Amt der Vereinten Nationen geht, besteht die Aufgabe vor allem in der Vorbereitung und Durchführung der Sitzungen der Vollversammlung. Dazu gehört, darauf zu achten, dass die Redezeiten eingehalten werden, dass auch die kleineren Länder zu Wort kommen und unfreundliche Zwischenrufe geahndet werden.

Annalena Baerbock hat jedoch schon bei ihrer Vorstellung vor der UN-Vollversammlung Mitte Mai klar gemacht, dass sie das Amt nicht nur zeremoniell als Sitzungspräsidentin ausüben will: "In ihrem 80. Jahr stehen die Vereinten Nationen vor existenziellen Herausforderungen. Dennoch bin ich überzeugt: Dies ist kein Moment der Verzweiflung."

Krise der Vereinten Nationen

Sie wolle die aktuelle Krise der Vereinten Nationen als Chance begreifen, kündigte Baerbock an. Die Organisation steht seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump unter erheblichem finanziellen und politischen Druck. Trump will die Beiträge der US-Regierung für die UN deutlich zurückfahren. Außerdem hat er den Rückzug der USA aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dem Pariser Klimaschutzabkommen, dem UN-Menschenrechtsrat und dem Palästinenserhilfswerk UNRWA angeordnet.

Diese schwierige Ausgangslage will Baerbock als Präsidentin der UN-Vollversammlung für Reformen nutzen. Bei ihrer Vorstellung versprach sie, "Doppelstrukturen abzubauen, die Effizienz und die Transparenz der UN zu verbessern". Dies sei "harte Arbeit, aber Arbeit, die wir tun müssen".

Suche nach Nachfolger für Guterres

Eine weitere wichtige Aufgabe, die auf Baerbock in ihrem neuen Amt zukommt, ist die schwierige Suche nach einem Nachfolger für das Amt des UN-Generalsekretärs. Die Amtszeit des Portugiesen António Guterres dauert noch bis Ende 2026. Noch nie war eine Frau an der Spitze der Vereinten Nationen. Baerbock will, dass sich dies ändert.

Vor allem aber, dass die UN-Vollversammlung transparent in die Nachfolge-Entscheidung eingebunden wird. Außerdem will sie ein offenes Ohr für alle Mitgliedsstaaten haben, betonte sie bei ihrer Vorstellung: "Ich werde allen 193 Mitgliedsstaaten dienen, großen wie kleinen. Als ehrlicher Vermittler. Als einende Kraft. Mit offenem Ohr und offener Tür."

Kritik aus mehreren Ländern

Dass Baerbock ihr Amt aktiver als viele ihrer Vorgänger ausüben will, gefällt nicht allen Mitgliedsländern. Bei der Anhörung Mitte Mai kam Kritik aus Serbien und Belarus, weil Baerbock als Außenministerin zu polarisierend aufgetreten sei. Scharfe Ablehnung kam vom stellvertretenden UN-Botschafter Russlands, Dmitri Poljanski. Er warf Baerbock "eklatante Voreingenommenheit" vor, sprach ihr diplomatische Fähigkeiten ab und wiederholte die falsche Behauptung, Baerbock sei "stolz auf ihren Großvater, der bei der SS diente".

Auch deshalb gilt es als sehr wahrscheinlich, dass Russland die Wahl Baerbocks heute verzögert und anstelle der üblichen Wahl per Akklamation eine geheime Abstimmung beantragt. Dies ist ungewöhnlich und geschah zuletzt 2020 vor der Wahl von Volkan Bozkir aus der Türkei. Damals beantragte der armenische UN-Botschafter eine geheime Abstimmung.

Wahl gilt als sicher

Doch selbst bei einer geheimen Abstimmung gilt die Wahl Baerbocks als sicher. Es reicht die einfache Mehrheit der anwesenden Mitgliedsstaaten. Allerdings würde bei einer geheimen Abstimmung deutlich, wie viele Mitgliedsstaaten Baerbock ihre Stimme nicht geben wollen. Welche Staaten dies dann sind, würde geheim bleiben.

Bei der Anhörung Mitte Mai lobten die UN-Botschafter mehrerer Länder, dass Deutschland eine prominente, bis vor Kurzem noch aktive Außenministerin für das Amt zur Verfügung stellt. Dagegen gab es in Berlin Kritik an der Personalie. Denn eigentlich war die deutsche Diplomatin Helga Schmid für das Spitzenamt vorgesehen.

Schmid hatte bereits zahlreiche Vorstellungsgespräche in New York geführt. Doch als nach der Bundestagswahl feststand, dass die Grünen künftig nicht mehr regieren werden, interessierte sich Baerbock selbst für den Top-Job bei den UN. Der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz und sein designierter Nachfolger Friedrich Merz stimmten zu.

Amtsantritt im September

Nach erfolgter Wahl wird Baerbock ihr neues Amt im September antreten. Sie wäre erst die fünfte Frau in 80 Jahren als Präsidentin der UN-Vollversammlung. Das Gehalt für das protokollarisch höchste Amt der Vereinten Nationen und die Mietkosten für die Wohnung in New York werden übrigens nicht aus dem UN-Budget bezahlt. Diese Kosten übernimmt jeweils die Regierung des Landes, aus dem die Präsidentin der UN-Vollversammlung kommt.

Martin Ganslmeier, ARD New York, tagesschau, 01.06.2025 23:07 Uhr