Eine Familie geht durch eine Straße in Dscharamana - einem Vorort von Damaskus.

Syrien nach Assad Die erste Euphorie ist verflogen

Stand: 29.04.2025 08:00 Uhr

Seit einem Monat ist die neue syrische Regierung im Amt. Ihr Job ist der Wiederaufbau des Landes - eine Mammutaufgabe. Die Erwartungen der Menschen sind hoch.

In Homs hängen Plakate der neuen Regierung. Die Imagekampagne zeigt etwa Hände, die sich aus Fesseln lösen. Ein anderes Poster zeigt ein junges Pflänzchen - die Botschaft: Nach 14 Jahren Krieg und Leid steht ein Neuanfang, gibt es einen Wandel, der aber noch Zeit, Reformen und internationaler Unterstützung bedarf.

In der Hauptstadt Damaskus scheint die große Welle der Euphorie nach dem Sturz der Assad-Dynastie abgeflacht. In diesen Tagen fürchten viele Menschen eine Stagnation. Laut UN leben 90 Prozent der Syrer in Armut. Sie wünschen sich eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse - und zwar schnell.

Vor einem Monat ernannte Syriens Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa 22 neue Minister und eine Ministerin. Ihre Aufgabe ist es, das Land wieder aufzubauen - in allen Bereichen. Das wird Jahre dauern. Die UN schätzen die Kosten auf knapp 400 Milliarden US-Dollar.

Katastrophale Zustände im Gesundheitswesen

Der Zustand des Gesundheitssektors steht beispielhaft für die Lage im Land. So wurden während des Krieges mehr als die Hälfte aller Gesundheitseinrichtungen beschädigt oder zerstört. Aufgrund der Sanktionen fehlt es in den Kliniken an Medikamenten und vor allem an neuen medizinischen Geräten.

Dieser Mangel wiederum habe zudem Korruption, Schmuggel und Schwarzmärkte gefördert, selbst in staatlichen Krankenhäusern, sagt Mohammed al-Halbouni, Leiter des Al Mujtahed Krankenhauses, einer der wichtigsten Kliniken in Damaskus. Ein weiteres Problem seien die niedrigen Gehälter. Ärzte verdienten zwischen 30 bis 50 US-Dollar im Monat.

Für Operationen sei von den Patienten vor allem in Privatkliniken viel Geld verlangt worden. Bislang müssen sie selbst in staatlichen Krankenhäusern die Kosten für ihre OP selber tragen. Krankenversicherungen gibt es nicht. Die Wartelisten für dringend benötigte Eingriffe sind lang, denn es fehlt außerdem an Personal. Mehr als die Hälfte der qualifizierten Fachkräfte sind während des Krieges ins Ausland geflohen.

Mussab al-Ali ist Syriens neuer Gesundheitsminister. Er hat als Neurochirug in Hessen gearbeitet. Al-Ali fordert, die Sanktionen gegen das Land komplett aufzuheben - so schnell wie möglich. Alles sei aufgrund der Sanktionen wie gelähmt. "Wenn wir nicht ein bestimmtes Niveau bei der Gesundheitsversorgung erreichen, werden auch keine im Ausland lebenden Syrer zurückkehren."

Einzige Frau im Kabinett

Die einzige Frau im Kabinett, Hind Kabawat, ist Christin und Sozialministerin im neuen Syrien. "Wir müssen Arbeitsplätze schaffen, und wir müssen Investoren nach Syrien holen. Das können wir nicht, wenn wir nicht die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft haben", sagt sie.

In den ersten Wochen in ihrem Amt, muss sie sich zunächst einen Überblick verschaffen. Die Grundversorgung vieler Menschen wurde in den vergangenen Jahren von NGOs und Privatinitiativen sichergestellt. In einem ersten Workshop geht es darum, deren künftige Zusammenarbeit mit dem Ministerium zu koordinieren.

Als Oppositionelle lebte Kabawat während des Bürgerkriegs im Exil und hat neben der syrischen auch die kanadische Staatsangehörigkeit. Sie ist international gut vernetzt und hat sich als Mitbegründerin einer Nichtregierungsorganisation für Frieden, Versöhnung und Frauenrechte eingesetzt. Ihr Ziel ist es, künftig ein Drittel Frauen in Führungspositionen zu erreichen.

"Das ist das neue Syrien. Ich bin nicht allein. Wir haben viele Männer, die unsere Sache unterstützen", so Kabawat. Die einzige Frau im neuen syrischen Kabinett wird in Medien gerne als Quotenfrau der islamistisch geprägten Übergangsregierung bezeichnet.

Hilfsgelder aus Deutschland

Der Wiederaufbau wird auch von der deutschen Regierung unterstützt. Bereits Ende Dezember hatte sie 60 Millionen Euro für Hilfsprojekte zugesichert, ausschließlich bestimmt für NGOs und UN-Hilfswerke. Hinzu kommen 15 Millionen Euro für sogenannte Klinikpartnerschaften in den nächsten Monaten.

Das erste Projekt in Syrien ist in Dêrik, der kurdischen Selbstverwaltungszone im Nordosten des Landes. Die Partnerschaften sollen es Ärztinnen und Ärzten aus Deutschland, darunter viele mit syrischen Wurzeln, ermöglichen, nach Syrien zu reisen, um dort Kolleginnen und Kollegen weiterzubilden und am Einsatz von neuen Geräten zu trainieren.

Doch sowohl Sozialministerin Kabawat als auch Gesundheitsminister al-Ali betonen: Voraussetzung für ihre Arbeit und für den Wiederaufbau des Landes ist die komplette Aufhebung der internationalen Sanktionen.