Ein Fels- und Eisrutsch hat den größten Teil des Dorfes Blatten verschüttet hat, ein Fluss staut sich an den Geröllmassen und überflutet die Ruinen.

Nach Gletschersturz in der Schweiz "In Sekunden war die ganze Heimat kaputt"

Stand: 29.05.2025 16:07 Uhr

Wo zuvor Häuser standen, sind nur noch Geröll, Fels und Wasser zu sehen: Das Bergdorf Blatten in der Schweiz ist nach einem Gletschersturz verschüttet, die Menschen stehen unter Schock. Und nun droht eine weitere Gefahr.

Enorme Fels-, Eis- und Schuttmassen haben das Dorf Blatten im Lötschental im Schweizer Kanton Wallis unter sich begraben. Über zwei Kilometer lang, 200 Meter breit und viele Meter hoch ist der schlammige Geröllberg, der nun im Tal liegt. Das zuvor evakuierte Dorf wurde zerstört, nicht einmal der Kirchturm ist noch zu sehen.

Die in Sicherheit gebrachten 300 Einwohner haben alles verloren. 90 Prozent des Dorfes, rund 130 Häuser, sind unter einer Schuttschicht begraben. Diese sei zwischen 50 und 200 Metern dick, sagte Naturgefahrenchef Raphaël Mayoraz. Insgesamt donnerten nach Schätzungen drei Millionen Kubikmeter Fels, Geröll und Eis des Birchgletschers ins Tal.

Anna-Lisa Achtermann, SRF, zum Bergsturz im Lötschental

tagesschau24, 29.05.2025 11:00 Uhr

"Kann mir die Zukunft vom Tal gar nicht vorstellen"

Im Nachbardorf Wiler stehen die Menschen unter Schock. "Ich bin sehr betroffen. Es ist ganz schlimm, wir kennen das ganze Dorf", sagte ein Einwohner dem Schweizer Fernsehen SRF. Der Sender berichtet in einem Liveticker über die Entwicklungen vor Ort. Auch Adrian Rieder aus Wiler ist fassungslos: "Ich kann meine Emotionen gar nicht beschreiben. Ich kann mir die Zukunft vom Tal gar nicht vorstellen. Aber irgendwie wird es weitergehen."

Betroffen ist auch der Weiler Ried nur einen Kilometer vor Blatten. Anwohner Daniel Ritler sagte dem Portal 20 Minuten: "In ein paar Sekunden war die ganze Heimat kaputt." Hof und Haus habe er auf Bildern nicht mehr gefunden. "Es sah so aus wie auf dem Mond. Wir müssen uns erst einmal fassen. Wir haben nichts da", beschreibt Ritler die Situation. "Es ist die Heimat und wir versuchen, etwas zu bewegen, dass es in irgendeiner Form wieder lebenswert wird." Die Online-Plattform des lokalen Medienhauses Pomona titelte: "Ein Tal weint." 

64-jähriger Einwohner vermisst

Wegen der Gefahrenlage war das Dorf Blatten in der Ferienregion Lötschental bereits vorige Woche kurzfristig geräumt worden. Seit die Eis- und Gerölllawine am Mittwochnachmittag mit gigantischem Getöse und einer Staubwolke wie nach einer Explosion ins Tal donnerte und Blatten unter sich begrub, werden die Bewohner abgeschirmt und betreut. Ein 64-jähriger Einheimischer hielt sich trotz der Evakuierungsaufforderung am Mittwoch im Gefahrengebiet auf und wird nun vermisst.

Sorge vor Flutwelle nach Gletscherabbruch im schweizerischen Lötschental

Sandra Biegger, ARD Genf, tagesthemen, 29.05.2025 22:30 Uhr

Weitere Gefahr droht

Doch die Gefahr in Blatten ist noch nicht gebannt: Der meterhoher Damm aus Geröll, Fels und Eis verhindert den Abfluss des Flusses Lonza. Dahinter stauen sich bereits immense Wassermassen. Wenn das Wasser das Hindernis durchbricht, droht weiter unten im Tal eine Flutwelle. Auch zu einem Murgang kann es kommen, also zu einer Gerölllawine, sollte das Wasser Teile des Damms ins Tal reißen.

Auf Drohnenbildern ist neben der meterhohen Schuttschicht zu sehen, dass die wenigen verschonten Häuser vom Wasser des Flusses Lonza überflutet sind. Die Behörden haben vorsichtshalber auch Einwohner der Gemeinden Wiler und Kippel, die in Flussnähe leben, in Sicherheit gebracht.

Zudem wurde nach Behördenangaben ein Stausee vorsorglich geleert, um im Fall einer Überflutung Platz für das Wasser zu schaffen. Die Schweizer Armee halte sich bereit und stelle Hilfsmaterialien zur Verfügung. Räumtrupps und Armee können zurzeit nicht mehr tun, wie der Kanton Wallis mitteilte. Die Lage sei zu gefährlich.

Am Berg Kleines Nesthorn drohen demnach weitere Hunderttausende Kubikmeter Fels abzustürzen. Jederzeit könnten sich Gerölllawinen lösen, und auch der Schuttkegel sei zu instabil und könne nicht betreten werden. "Dies macht zum jetzigen Zeitpunkt jegliche Intervention im Katastrophengebiet unmöglich", so der Kanton. 

Sorge vor Dammbruch

Jens Turowski, Geologe am Helmholtz-Zentrum, sagte im Gespräch mit tagesschau24: "Die größte Gefahr ist momentan im Tal." Die Ablagerung sei teilweise bis zu 50 Meter dick. "Das ist eine enorme Masse, die da runtergekommen ist. Und das staut den Fluss auf", so Turowski weiter.

Der Geologe Flavio Anselmetti von der Universität Bern erklärte dem SRF ein mögliches Szenario: "Das Schlimmste wäre, dass sich Wasser aufstaut bis zur Krone des Bergsturzdammes". Der Fluss könne sich dann in das Gestein-Eis-Gemisch einschneiden, der Damm instabil werden und brechen. "Dann könnten sehr starke Flutwellen oder Murgänge von diesem Seeausbruch für die Gemeinden, die im unteren Tal liegen, drohen."

Karte: Blatten, Kanton Walllis, Schweiz mit Lötschental

Große Solidarität mit Einwohnern

In der Schweiz ist die Solidarität mit den rund 300 Einwohnerinnen und Einwohnern von Blatten enorm. Unter anderem Caritas Schweiz und das Schweizer Rote Kreuz haben Soforthilfen angekündigt, der Verein "Patenschaft für Berggemeinden" will für Aufräumarbeiten und Wiederaufbau eine Million Franken zur Verfügung stellen. Auch die Regierung in Bern kündigte an, man werde alles tun, um die Bevölkerung beim Wiederaufbau zu unterstützen.

Das Lötschental ist eigentlich ein Urlaubsparadies mit Bergseen und viel unberührter Natur. Im Sommer erfreuen sich Wander- und Kletterrouten großer Beliebtheit, im Winter locken kilometerlange Skipisten. Das Tal war bis zur Eröffnung des Lötschbergtunnels 1913 und dem Bau einer Straße in den 1950er-Jahren nur schwer erreichbar. Blatten ist das letzte Dorf im 27 Kilometer langen Lötschental. Es liegt auf rund 1500 Metern.

Druck von neun Millionen Tonnen Schutt

Auslöser der Katastrophe war ein relativ langsam verlaufender Bergsturz am Kleinen Nesthorn oberhalb des nun abgestürzten Birchgletschers. Durch das Abbröckeln des Kleinen Nesthorns lagerten sich rund neun Millionen Tonnen Schuttmaterial auf dem Gletscher ab und übten Druck auf die Eismassen aus, wie die Schweizer Nachrichtenagentur Keystone-SDA berichtete.

Mit Informationen von Kathrin Hondl, ARD Genf

Kathrin Hondl, ARD Genf, tagesschau, 29.05.2025 14:35 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 29. Mai 2025 um 11:00 Uhr.