Eine Panzerhaubitze 2000 der Bundeswehr.

Vorgaben für die Ukraine SPD kritisiert Waffen-Wende von Merz

Stand: 27.05.2025 16:15 Uhr

Für an die Ukraine gelieferte Waffen gibt es laut Kanzler Merz keine Beschränkung der Reichweite mehr. Der Koalitionspartner SPD fühlt sich überrumpelt. Merz hingegen spricht von einer alten Entscheidung.

Keine Angriffe mit deutschen Waffen auf russisches Staatsgebiet - dieser Grundsatz galt weitestgehend unter der Vorgänger-Regierung des damaligen Bundeskanzlers Olaf Scholz. Gestern hat Bundeskanzler Friedrich Merz klar gestellt: Die westlichen Partner machen keine Vorgaben mehr zur Reichweite für die an die Ukraine gelieferten Waffen.

Viele deutsche Politikerinnen und Politiker sehen darin einen abrupten Kurswechsel des CDU-Politikers - der nicht bei allen auf Zustimmung stößt. Der sozialdemokratische Außenpolitiker Ralf Stegner nannte den Schritt "nicht hilfreich". Alles, was den Krieg ausweite, sei falsch, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Ich finde es vielmehr richtig, die diplomatischen Bemühungen zu verstärken."

Mützenich: Sehr unsicher, was Vorstoß bedeutet

Distanziert äußerte sich auch der frühere SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Er sei sehr unsicher, was der Vorstoß von Merz auf dem Kriegsgebiet bedeute, sagte Mützenich im Deutschlandfunk. Er habe da noch viele Fragen an den Kanzler. Es sei richtig gewesen, eine Reichweitenbegrenzung vorzunehmen. "Ich würde die Bundesregierung bitten, sich lieber an den diplomatischen Bemühungen zurzeit zu beteiligen", sagte Mützenich.

Es sei ganz offensichtlich, dass Russlands Präsident Wladimir Putin eskaliere, es müsse daher alles getan werden, den Prozess von Verhandlungen durch weitere diplomatische Initiativen zu untermauern.

Kramp-Karrenbauer hält Schritt für überfällig

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Agnieszka Brugger, begrüßte die Ankündigung des Kanzlers dagegen. "Wladimir Putin bombt mit neuer Grausamkeit gerade jegliche Friedensbemühungen und Gesprächsangebote in Grund und Boden. Es wäre ein Fehler, dies tatenlos hinzunehmen", sagte sie dem RND. 

Zuspruch bekommt Merz auch von der früheren Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie habe sich die Entscheidung schon früher gewünscht. Das hätte der Ukraine bei der Verteidigung gegen Russland geholfen. Die frühere CDU-Chefin fügte hinzu, dass ukrainische Angriffe auf Militäranlagen in Russland rechtlich erlaubt seien. Sie sprach sich zudem für eine Lieferung von "Taurus"-Marschflugkörpern an Kiew aus.

Hardt: Unwägbarkeit für die russische Seite schaffen

Überrascht reagierten auch einige Politiker aus den eigenen Reihen. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, rief im Gespräch mit dem BR zur Zurückhaltung auf. Russland dürfe nicht aus der Zeitung erfahren, welche Waffen Kiew zur Verfügung stünden.

Die Verhandlungen darüber dürften nicht auf offener Bühne stattfinden. "Es muss auch ein Stück Unwägbarkeit auf der russischen Seite geben, darüber, welche Waffen hat die Ukraine? Wie kann sie sie einsetzen", sagte er. Das könne die gegnerischen Kräfte bündeln. "Erst wenn Putin das Gefühl bekommt, dass es vielleicht doch auch aus seiner Sicht schief gehen könnte mit dem Krieg gegen die Ukraine, haben wir eine Chance auf einen fairen Frieden", sagte Hardt.

Paradigmenwechsel "im Vorbeigehen"?

Auf der Bühne des WDR-Europaforums hatte Merz gestern gesagt: "Offensichtlich versteht Putin Gesprächsangebote als Schwäche." Man werde alles tun, um die Ukraine zu unterstützen. Dann schob der Kanzler explizit nach: "Es gibt keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen, die an die Ukraine geliefert worden sind, weder von den Briten noch von den Franzosen, noch von uns, von den Amerikanern auch nicht." Das ukrainische Militär könne sich nun auch verteidigen, indem es zum Beispiel militärische Stellungen in Russland angreife.

"Im Moment sei keine Lieferung von Taurus geplant", Matthias Deiß, ARD Berlin, zzt. Turku, zur Debatte über Reichweiten von Waffen für Ukraine bei Merz' Finnland-Reise

tagesschau24, 27.05.2025 10:00 Uhr

Eine Aufhebung der Reichweite wäre faktisch ein Paradigmenwechsel in der deutschen Politik. Merz bewertet das allerdings nicht so. Am Rande des nordischen Gipfels in Finnland sagte der CDU-Politiker, er habe "etwas beschrieben, was schon seit Monaten geschieht, dass die Ukraine nämlich das Recht hat, die Waffen, die sie geliefert bekommt, auch einzusetzen, auch jenseits der eigenen Landesgrenzen einzusetzen gegen militärische Ziele auf russischem Staatsgebiet." Das sei notwendig.

Nur auf eigenem Territorium könne man sich nicht genug verteidigen. "Insofern wird die Ukraine damit seit langer Zeit richtigerweise in die Lage versetzt, sich wirklich gegen die russische Aggression zu verteidigen."

Ähnlich äußerte sich auf Nachfrage des ARD-Hauptstadtstudios auch das Bundesverteidigungsministerium. "Die ukrainischen Streitkräfte verteidigen sich gegen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Dabei können sie die von Deutschland gelieferten Waffen unter Achtung des Völkerrechts zur Verteidigung, z.B. auch gegen rückwärtige Nachschubwege und militärische Logistik einsetzen. Eine Reichweitenbeschränkung besteht dabei nicht." Diese Linie sei nicht neu, es gebe keine Lageänderung.

Anspielung auf Ausnahme für Region Charkiw?

So eindeutig wie Kanzler Merz es in Finnland formulierte, ist die Lage allerdings - zumindest, was öffentlich bekannt ist - nicht: Grundsätzlich galt nach bisherigem Wissensstand das Verbot für Angriffe mit westlichen Waffen auf russischem Territorium. Es gab jedoch Ausnahmeregeln: So gaben die US-Amerikaner ihre Waffen zur Verteidigung der Region Charkiw Ende Mai 2024 frei. Auch Deutschland zog mit und ließ den Einsatz von deutschen Waffen zur Zerstörung von Raketensystemen auf russischem Boden zu.

Im November hatte der damalige US-Präsident Joe Biden dann die Verwendung von US-Waffen mit großer Reichweite in der Region Kursk erlaubt. Offenbar schloss sich Großbritannien an. Medien hatten über Angriffe in der Region mit Marschflugkörpern vom Typ "Storm Shadow" berichtet.

Deutsche Waffen reichen nicht weiter als 85 Kilometer

Operativ wird die Ankündigung von Merz zunächst kaum Auswirkungen haben, da Deutschland kaum Waffen geliefert hat, mit denen die ukrainischen Streitkräfte russische Stellungen und Nachschublinien weit hinter der Frontlinie treffen können. Der Raketenwerfer "Mars II" mit einer Reichweite von etwa 85 Kilometern und die Panzerhaubitze 2000 mit einer Reichweite von etwa 35 Kilometern sind die einzigen beiden Waffensysteme.

Raketenwerfer MARS II

Der Raketenwerfer Mars II mit einer Reichweite von etwa 85 Kilometern könnte künftig auch Ziele auf russischem Territorium treffen.

Den Marschflugkörper "Taurus" mit einer Reichweite von 500 Kilometern, mit dem selbst Moskau erreicht werden könnte, hat Berlin bisher nicht geliefert. Die USA, Frankreich und Großbritannien haben den ukrainischen Streitkräften dagegen Raketen mit einer Reichweite von teilweise mehr als 250 Kilometern zur Verfügung gestellt.

In einer früheren Version wurde die Quelle der Zitate der stellvertretenden Grünen-Fraktionsvorsitzenden Brugger fälschlicherweise dem Deutschlandfunk zugeordnet. Die korrekte Quelle ist das Redaktionsnetzwerk Deutschland.

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