
Gerichtsprozess in Hamburg Humanitäre Hilfe oder Spenden für den IS?
Vier Tschetschenen müssen sich vor dem Oberlandesgericht in Hamburg für Spenden verantworten, die der Bundesanwaltschaft zufolge an IS-Mitglieder gingen. Zwei Angeklagte gaben hingegen an, sie hätten Landsfrauen in Not helfen wollen.
Vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg hat ein Prozess gegen vier Männer russischer Staatsangehörigkeit begonnen. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, in Europa Gelder für Mitglieder der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) und deren Angehörige gesammelt zu haben. Dazu hätten sie sich ab 2022 zu einer kriminellen Vereinigung zusammengetan, erklärte Oberstaatsanwalt Stefan Freuding.
Sie sollen demnach in sozialen Medien und Telegram-Gruppen um Spenden geworben, die Gelder gesammelt und deren Transfer zu IS-Mitgliedern organisiert haben. Freuding zählte bei der Anklageverlesung Dutzende Fälle auf, bei denen es um mehr als 174.000 Euro gegangen sei. Einer der Männer soll davor schon 65.000 Euro gesammelt und weitergeleitet haben.
Drei der vier russischen Staatsangehörigen wurden in der Teilrepublik Tschetschenien geboren, einer in Kasachstan. Sie lebten in Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein. Drei von ihnen wurden im Juli 2024 festgenommen, der vierte im Januar 2025. Die Männer im Alter zwischen 35 und 45 Jahren sitzen seitdem in Untersuchungshaft.
Gelder für Mütter und Kämpfer
Der Anklage zufolge sammelten sie die Gelder in Deutschland, Frankreich, Belgien und Österreich. Demnach sollte das Geld hauptsächlich weiblichen IS-Mitgliedern und Kämpfern im Norden Syriens zugute kommen. Unter den aufgeführten Fällen fand sich der einer Mutter, die ihrer Tochter im Jahr 2022 1.160 Euro in einem Gefangenenlager im Norden Syriens schicken wollte. In einem anderen Fall sollten 4.500 Euro für den Freikauf von zwei Frauen und ihren fünf Kindern aus dem Lager Al Hol in Nordsyrien bereitgestellt werden.
Die Summen von jeweils einigen hundert bis zu mehreren Tausend Euro wurden den Ermittlungen zufolge in US-Dollar oder in Kryptowährungen getauscht und dann hauptsächlich an zwei Vermittler in der Türkei übermittelt. Oberstaatsanwalt Freuding beschrieb die Frau und den Mann als IS-Mitglieder, die die Gelder auf unbekanntem Wege in den Norden Syriens transferierten.
In der Anklage aufgeführt ist auch ein Kämpfer namens Valid Umarov, der sich 2022 in Afghanistan aufgehalten und für eine Spende drei Sturmgewehre AK47 gekauft haben soll. Im Jahr 2024 sollen 5.000 Dollar für den Freikauf eines Kämpfers in der Ukraine bereitgestellt worden sein.
IS weiter aktiv
Der Vertreter der Bundesanwaltschaft hob hervor, dass der IS auch nach dem Tode seines Anführers Abu Bakr al-Baghdadi und dem Verlust der besetzten Gebiete im Jahr 2019 nicht vollständig zerstört gewesen sei. Vielmehr seien 4.000 bis 6.000 Kämpfer hauptsächlich im Grenzgebiet Syriens und Irak aktiv geblieben. Im Namen des IS seien mehrere 1.000 Angriffe weit über die Region hinaus verübt worden. Außerdem seien IS-Provinzen ausgerufen worden, darunter in Ägypten und unter dem Namen Chorasan in Afghanistan und angrenzenden Regionen. Der IS sei damit ein weiterhin global aktiver Akteur.
In den von Kurden betriebenen Gefangenenlagern im Norden Syriens lebten 65.000 Menschen, über die es keine vollständige Kontrolle gebe. Die IS-Frauen dort zwängen anderen Frauen mit Gewalt die Ideologie des IS und das Tragen einer Vollverschleierung auf. Die Kinder in den Lagern würden zu künftigen IS-Kämpfern erzogen.
"Humanitäre Zwecke"
Der Angeklagte Zelimkhan D. ließ durch seinen Anwalt erklären, dass er lediglich Gelder für humanitäre und religiöse Zwecke habe sammeln wollen. Es sei ihm um Hilfe für Erdbebenopfer in der Türkei, für Palästinenser, religiöse Feste und Tschetscheninnen gegangen. Seine Landsfrauen hätten sich aus traditionellen Gründen ihren Ehemännern in Syrien anschließen und dort ein gottesfürchtiges Leben führen wollen.
Wenn Gelder für den IS und terroristische Zwecke genutzt seien worden, so sei er getäuscht worden. Die Zahlungen seien über das traditionelle Hawala-System abgewickelt worden, weil es schnell und zuverlässig sei. Banküberweisungen würden hingegen oft von deutschen Behörden blockiert. Außerdem habe er damit nicht auffallen wollen. In der genannten Telegram-Gruppe sei er nicht Mitglied gewesen. Dort seien seiner Erinnerung nach auch keine extremistischen Inhalte geteilt worden.
"Vor der Hinrichtung bewahren"
Der Angeklagte Abdulraschid D. ließ ebenfalls die Vorwürfe von seinem Anwalt zurückweisen. Auch er habe Gelder nur für humanitäre Zwecke sammeln und Frauen in Syrien vor der Hinrichtung bewahren wollen. In der genannten Chatgruppe habe es unterschiedliche Strömungen gegeben. Er habe dann an einem Treffen bei Plauen teilgenommen, um herauszufinden, wofür genau Gelder gesammelt werden sollten. Als ein Mann aus Frankreich für die Unterstützung von Kämpfern geworben habe, sei dies nicht auf Zustimmung getroffen.
Die anderen beiden Angeklagten ließen erklären, dass sie sich später äußern wollten. Vor Beginn der Verhandlungen und während der Pausen zeigten sich die Männer gegenüber ihren Angehörigen und Freunden im Zuschauerbereich kämpferisch und optimistisch. Einer ballte die Faust, ein anderer streckte den Zeigefinger nach oben. Bislang sind 17 weitere Verhandlungstermine bis Mitte Oktober festgelegt.