Rinder grasen auf einer Weide im Schwarzwald

Baden-Württemberg Höfesterben in Baden-Württemberg: Warum Landwirte ums Überleben kämpfen

Stand: 25.05.2025 06:26 Uhr

Rund 500 Bauernhöfe in Baden-Württemberg stellen jedes Jahr ihren Betrieb ein. Warum die Idylle auf dem Land oft trügt - und viele kleine Höfe ums Überleben kämpfen. 

Von Daniel Jacob

Auf dem Hof von Erika Obergfell in Sankt Georgen (Schwarzwald-Baar-Kreis) ist in der Nacht ein Kalb geboren worden. Als ihr Mann Gerhard dem Jungtier die Ohrmarken sticht, liegt es ruhig auf der saftig grünen Weide. Die anderen Tiere stehen neugierig im Halbkreis drumherum - ein kurzer Moment der Idylle im Alltag der Familie Obergfell.  Auf fast 1.000 Metern Höhe gibt es viel Arbeit - und kaum Feierabend. Urlaub brauche sie nicht, sagt Erika Obergfell.

Ich muss nicht wegfahren, ich habe eigentlich mein Paradies hier. Ich bin hier glücklich. Das ist das Wichtigste - glücklich zu sein." Erika Obergfell, Landwirtin in Sankt Georgen
Die Landwirte Obergfell mit ihren Kühen

Erika Obergfell und ihr Mann mit ihren Rindern. Erst vor Kurzem ist ein Kalb geboren, das nun seine Ohrmarken erhält. Die Landwirte leben hauptsächlich von der Rinderzucht.

Gute Produkte - kein Gewinn

Erika Obergfell und ihr Mann leben von der Rinderzucht, von ihren Schweinen und Hühnern. Deren Produkte verkaufen sie auf dem Wochenmarkt. Doch das sei mittlerweile ein Nullsummenspiel. "Reich werde ich leider nicht. Wir können gerade so überleben", sagt sie. Der Druck, der auf kleinen Höfen wie ihrem lastet, ist enorm - viele geben auf, weil es keine Gewinnspanne mehr gibt. Wieder andere sehen keinen Ausweg: Obergfell berichtet von Landwirten, die sich das Leben nehmen, weil sie unter dem Druck zusammenbrechen.

Immer weniger Höfe im Südwesten

2023 gab es in Baden-Württemberg noch rund 37.500 landwirtschaftliche Betriebe - vor 40 Jahren waren es fast viermal so viele. Und ein Ende des Höfesterbens ist nicht in Sicht: Jahr für Jahr geben mehr als 500 Betriebe auf.  

Einer dieser Betriebe gehört Martin Fischer. Bis 2023 bewirtschaftete er die steilen Südhanglagen des Gündelbacher Wachtkopfes in Vaihingen-Enz (Kreis Ludwigsburg) - ein Weinbaubetrieb mit fünfzigjähriger Familientradition. Doch auch er musste aufgeben. Corona sei der Anfang vom Ende seines Betriebs gewesen, knapp ein Drittel des Umsatzes brach ihm damals weg. 

Heute, an einem milden Frühsommerabend, wirken die gerodeten Hänge noch immer idyllisch, "aber trotzdem sind wir natürlich ein wirtschaftliches Unternehmen – und egal, was wir hier machen, unterm Strich muss man die Familie ernähren", sagt Fischer. Die Liste seiner Probleme war lang: hohe Löhne, steigende Energiekosten, wachsende Bürokratie und Kunden, die seine Preise nicht mehr bezahlen wollten. Die Folge: Das Weingut ist inzwischen Insolvenzmasse, den Betrieb wickelt Fischer gerade noch ab.  

Landwirt Martin Fischer durchquert seine gerodeten Steillagen

Martin Fischer durchquert seine gerodeten Steillagen in Vaihingen-Enz (Kreis Ludwigsburg). Trauben wachsen hier nicht mehr.

700 Millionen Euro für die Landwirtschaft in BW

Dabei wendet die Politik viel Geld auf, um Insolvenzen wie die von Martin Fischer zu verhindern - und um die Kulturlandschaft zu erhalten. Allen voran die EU: Mit rund 55 Milliarden Euro pro Jahr subventioniert sie die Landwirtschaft in ihren Mitgliedsländern - fast ein Viertel des gesamten EU-Haushalts. Nach Baden-Württemberg fließen rund 400 Millionen Euro an Direktzahlungen aus Brüssel. Weitere 138 Millionen kommen aus EU-Töpfen für spezielle Förderprogramme, ergänzt durch rund 117 Millionen Euro vom Land und 45 Millionen Euro vom Bund. Insgesamt fließen also rund 700 Millionen Euro in die Landwirtschaft in Baden-Württemberg.  

Erika Obergfell aus Sankt Georgen erhält eine Fördersumme von etwa 10.000 Euro im Jahr - gerade genug, um Gebäude zu erhalten und die Beiträge für die Berufsgenossenschaft zu bezahlen. "Den Rest muss ich mir selbst erarbeiten", sagt die Landwirtin in der Sendung "Zur Sache! Baden-Württemberg".  

 

Weinberge und Höfe in Gefahr? Der Wert der Idylle - Zur Sache BW

Neben ihr im Studio sitzt Martin Fischer, der Winzer, der seinem Handwerk nicht mehr nachgehen kann. Man schöpfe viel daraus, "ein Produkt zu machen, das Menschen glücklich macht", sagt Fischer, der kein Freund von Subventionen ist. Damit sich der Betrieb rechne, müsse vor allem der Wein teurer werden: "Mindestens zehn Euro, sodass wir ein gutes Auskommen haben." Die meisten Kunden aber würden im Supermarkt eher zur Flasche greifen, die fünf Euro kostet.  

Landwirtschaftsminister Hauk appelliert an Verbraucher und Discounter

"Tragisch" sei das Schicksal, das den Betrieb von Martin Fischer ereilt hat, findet Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) - und kein Einzelfall. Er appelliert in der Sendung an die Konsumenten, wenn es um den Erhalt kleiner landwirtschaftlicher Betriebe in Baden-Württemberg geht.

Man kann etwas dafür tun, in dem man einfach das, was in Baden-Württemberg produziert wird, auch konsumiert.“  BW-Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU)

Gleichzeitig nimmt Hauk auch den Handel - insbesondere den Discount-Bereich - in die Pflicht. Da herrsche aktuell "ein knallharter Preiskampf". Regionale Wertschöpfung habe ihren Preis, besonders in einem Hochlohnland wie Baden-Württemberg mit entsprechender Topografie. Diese höheren Kosten müsse vor allem der Discount akzeptieren, "wenn wir noch baden-württembergische Produkte in den Läden haben wollen". 

Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) in der SWR-Sendung "Zur Sache! Baden-Württemberg"

Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) appelliert an Verbraucher und Handel

Regionale Ware - ein Ladenhüter?

Zwischen den Landwirten und dem Minister sitzt Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg. Sie vertritt an diesem Abend die großen Handelsketten und moniert, dass Verbraucherinnen und Verbraucher zwar in Umfragen die Bereitschaft zeigen, regionale Produkte einzukaufen - in der Realität aber würden diese Produkte häufig "wie Beton im Regal" liegen. "Der Verbraucher sagt, er würde grundsätzlich einkaufen, aber der Preis ist ihm dann doch zu hoch", sagt Hagmann bei "Zur Sache! Baden-Württemberg". 

Ferien auf dem Bauernhof als Lösung?

Ortswechsel: Münsingen (Landkreis Reutlingen) auf der Schwäbischen Alb. Alwine und Georg Buhl treten aus ihrem kompakten, grauen Wohnmobil. "Gut geschlafen haben wir, ruhig ist es", sagt Georg Buhl und blickt zufrieden in die idyllischen Weiten. Die beiden passionierten Camper stehen heute nicht auf einem gewöhnlichen Campingplatz, dicht an dicht mit anderen Wohnmobilen, sondern mitten auf dem Biohof Weibler, zwischen Feldern und Landmaschinen. Eine kleine Bierzeltgarnitur haben sie vor ihrem Camper aufgebaut. 

Schon kommt Landwirt Lukas Weibler um die Ecke: "Ich habe Ihnen mal eine kleine Auswahl aus unserem Hoflädle mitgebracht." Weibler lässt Gäste wie die Buhls kostenlos auf seinem Hof übernachten. Dennoch eine Win-Win-Situation für den jungen Landwirt, denn er weiß: Viele Camper schätzen es, direkt vor Ort frische Produkte vom Land einkaufen zu können. Die Buhls haben einen großen Sack Mehl von ihm gekauft.  

Im kleinen Hofladen finden sich zahlreiche regionale Leckereien. Vieles davon ist auf Wunsch der Kundschaft entstanden. Weibler hört zu und passt sein Angebot regelmäßig an: "Viele Produkte, die wir aktuell im Angebot haben, sind auf Kundenwunsch entstanden. Stillstand ist der Tod auf Raten", sagt der junge Landwirt. 

Hoffen auf die Konsumenten

Auf dem Bauernhof von Erika Obergfell in Sankt Georgen (Schwarzwald-Baar-Kreis) kann man keinen Urlaub machen. Ihren Hof hat sie gerne für sich. Und doch schätzt sie den Austausch mit Menschen - etwa auf dem Wochenmarkt, wo sie ihre Produkte verkauft. "Das tut mir gut", sagt sie. Während der Corona-Pandemie lief das Geschäft "richtig gut", inzwischen aber flacht es merklich ab. Sie hofft, dass wieder mehr Menschen auf den Markt kommen. Auch Landwirtschaftsminister Hauk mahnt, regionale Strukturen dürften "nicht nur als Lückenfüller" dienen, wenn man mal etwas im Einzelhandel vergessen habe.  

Winzer Martin Fischer fordert in seinen Schlussworten in der Sendung "Zur Sache! Baden-Württemberg!" den Handel auf, die Regionalität schon auf der Verpackung klar zu kennzeichnen - "damit man das Produkt nicht dreimal drehen muss, um zu sehen, wo es herkommt". Und Erika Obergfell bleibt am Ende der Sendung nur der Appell an die Verbraucherinnen und Verbraucher - für mehr Wertschätzung und für mehr Bewusstsein: "Mit offenen Augen durch die Landschaft gehen, nicht mit Scheuklappen", das wünscht sie sich.

Sendung am Do., 22.5.2025 20:15 Uhr, Zur Sache Baden-Württemberg!

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