Ahmed Mohammed Ahmed und Gunter Sterz machen ein Mentoring-Programm (Quelle: rbb)

Berlin Diversity-Tag 2025: Mit dem Hürdenspringer in die Baubranche

Stand: 27.05.2025 13:15 Uhr

Oft braucht es mehr als Schulbildung, um Träume zu verwirklichen. Ahmed hatte seinen Start ins Berufsleben zunächst ein wenig verpasst. Dass es dann besser klappte, verdankt er Gunter. Von H. Daehler und C. Rubarth

Ein 3D-Modell eines großen Hauses flimmert über den Bildschirm vor Ahmed Mohammed Ahmed. Der 18-Jährige erklärt Gunter Sterz, dass er heute eine Fassade für einen Innenhof entworfen hat. Ahmed macht derzeit ein Praktikum bei einem Berliner Architekturbüro - ein wichtiger Schritt hin zu seinem Kindheitstraum: Architekt werden. Dass er diesem Ziel so entschlossen folgt, hat er auch dem 73-jährigen Gunter zu verdanken.

Archivfoto von 2021: Mojtaba Hosseiny (l), Herrenmaßschneider und Andreas Westkämper, Gewandmeister an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt, arbeiten zusammen in der Schneiderei. Als Mojtaba Hosseiny 2015 aus dem Iran flüchtete, hatte er nur ein Ziel, eine Ausbildung und ein Leben mit Perspektive. Beides hat der 28-Jährige geschafft, dank vieler Unterstützer in Schwedt und Berlin (Quelle: dpa / Patrick Pleul).
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Kindliche Begeisterung scheitert an schulischen Hürden

Ahmed kam vor zehn Jahren mit seiner Familie aus Ägypten nach Deutschland. Als Kind half er seiner Familie beim Hausbau: "Ich habe kleine Arbeiten übernommen. Ziegelsteine hin und her getragen und auf einen Stapel gepackt." Die Entstehung eines Hauses mitzuerleben, hat ihn geprägt und begeistert ihn bis heute.
 
Doch der schulische Weg verläuft in Deutschland nicht ganz so glatt, wie sich das Ahmed gewünscht hätte. Das Abitur und ein direktes Architekturstudium rücken in weite Ferne - auch wegen sprachlicher Hürden. Selbst der Mittlere Schulabschluss steht auf der Kippe.
 
In dieser Phase taucht Gunter Sterz auf, der sich beim Mentoring-Projekt "Hürdenspringer" vom Unionshilfswerk gemeldet hat, um als Ehrenamtlicher junge Menschen auf dem Weg ins Berufsleben zu unterstützen. Der 73-Jährige hat als Geschäftsführer in der Pharmabranche gearbeitet. Seine Töchter sind längst erwachsen und in guten Jobs. Deshalb wollte er sich auch außerhalb der Familie um den Nachwuchs kümmern.

Ahmed Mohammed Ahmed und Gunter Sterz machen ein Mentoring-Programm (Quelle: rbb)

Mit etwas Hilfe gelingt das Bewerben bei Ahmed deutlich besser. Aber auch Gunter profitiert von seinem Mentee.

"Ohne Gunter wäre ich nicht da, wo ich bin"

Die beiden lernen sich vor drei Jahren bei "Hürdenspringer" kennen, sind sich schnell sympathisch, werden ein Team. Seither treffen sich Gunter und Ahmed einmal in der Woche. Sie üben gemeinsam für Schulpräsentationen, sprechen über berufliche Pläne, feilen an Bewerbungen, planen Behördengänge. Aber auch Freizeitspaß kommt nicht zu kurz: Vor kurzem waren sie gemeinsam bei einem Handballspiel der Füchse Berlin.
 
Mit Gunters Unterstützung entscheidet sich Ahmed für eine Ausbildung als Bauzeichner, dadurch kann er später auch ohne Abitur Architektur studieren. Im Rahmen der Ausbildung macht er derzeit ein Praktikum bei einem Architekturbüro. Auch die Bewerbung dafür war Teamarbeit. "Wir haben die Webseiten der Firmen angeschaut und die Anschreiben angepasst. Es kamen viele Absagen. Aber Gunter hat mich angespornt, nicht aufzugeben. Hätte ich Gunter nicht kennengelernt, wäre ich heute nicht da, wo ich jetzt bin", erzählt Ahmed.

Kuppelei für die Zukunft

Gunter ist stolz auf seinen Mentee und freut sich sichtbar mit ihm über das, was beide bisher erreicht haben. "Ahmed hat wirklich eine klare Vorstellung davon, was er in Zukunft machen möchte. Das ist sehr wichtig! Das Praktikum ist ein wichtiges Sprungbrett für seine Karriere."
 
Zwischen Mentee und Mentor ist über die Jahre ein vertrauensvolles Verhältnis entstanden, das über eine reine Arbeitsbeziehung hinausgeht. So sieht es das Mentoring-Projekt "Hürdenspringer", das Ahmed und Gunter verkuppelt hat, im Idealfall auch vor.
 
Seit rund fünfzehn Jahren unterstützt "Hürdenspringer" junge Menschen in herausfordernden Situationen. In dieser Zeit, so Projektleiterin Sabine Niels, sind 1.450 Tandems aus Geflüchteten, Azubis und Schüler:innen auf der einen Seite und den ehrenamtlichen Mentor:innen auf der anderen Seite entstanden. "Wir matchen Mentoren und Mentees nach unterschiedlichen Kriterien: Ob ein gleiches Berufsfeld da ist oder ähnliche Hobbies. Das klappt zu 98 Prozent", erklärt Niels. Das Ziel: Ausbildungsabbrüche verhindern und Jugendlichen eine echte berufliche Perspektive eröffnen.

Sozialer Aufstieg ist oft ein Generationenkampf

"Hürdenspringer" ist eines von vielen Mentoring-Projekten, die vom Land Berlin jährlich mit insgesamt einer Million Euro unterstützt werden. Laut der Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales erzielt das Landesprogramm Mentoring "besondere und bedeutende Erfolge mit Blick auf die Ausbildung junger Menschen in Berlin". Der Wissenstransfer und der Perspektivwechsel spiele dabei wechselseitig eine große Rolle: "Mentees profitieren von wertvollen Erfahrungen und bewährten Strategien ihrer Mentor:innen, während Mentor:innen wiederum neue Einsichten in aktuelle Herausforderungen und Denkweisen jüngerer Generationen gewinnen. Dieser gegenseitige Austausch macht das Landesprogramm Mentoring zu einem dynamischen Lernprozess, der für beide Seiten von großem Wert ist", heißt es aus der Senatsverwaltung.
 
Laut OECD-Berechnungen aus dem Jahr 2018 kann es in Deutschland bis zu sechs Generationen dauern, bis Kinder aus einkommensschwachen Familien das Durchschnittseinkommen erreichen.

Mentoring kann soziale Lücken schließen

Die Ungleichheit beginnt früh: Kinder aus den am stärksten sozioökonomisch benachteiligten Familien haben laut ifo-Chancenmonitor 2023 [ifo.de, PDF] eine Wahrscheinlichkeit von nur 17,1 Prozent, auf ein Gymnasium zu kommen. Bei Kindern aus privilegierten Haushalten steigt diese auf 80,2 Prozent. Selbst bei gleicher Leistung erhalten Kinder aus privilegierten Haushalten deutlich häufiger eine Gymnasialempfehlung.
 
Ursache für soziale Ungleichheit ist dabei unter anderem auch die fehlende familiäre Unterstützung. Diese Lücke könnten Mentoring-Programme schließen, in denen benachteiligte Kinder und Jugendliche von ehrenamtlichen Begleiter:innen während Schulzeit und Berufsorientierung unterstützt werden.
 
Laut eines ifo-Forschungsprojekts von 2021 [ifo.de, PDF], an dem 308 Jugendliche aus benachteiligten Verhältnissen an 19 Schulen in 10 Städten teilnahmen, verbesserte die Teilnahme an einem Mentoring-Programm die Chancen, eine Berufsausbildung zu beginnen erheblich.

Martin Menacher (Quelle: rbb)

Martin Menacher wünscht sich mehr Engagement und Mentoring-Programme.

"Fast wie ein zweiter Vater"

Für Ahmed ist Gunter mittlerweile mehr als nur ein Mentor. "Er ist fast wie ein zweiter Vater für mich. Bei jeder wichtigen Angelegenheit, die wir zusammen machen, wachsen wir auch zusammen. Das ist schön", sagt Ahmed. Sein aktuelles Praktikum ist dabei ein weiterer, bedeutender Schritt auf diesem gemeinsamen Weg.
 
Ahmeds Vorgesetzter im Architekturbüro, Martin Menacher, erfuhr erst vor Kurzem, dass sein Praktikant einen Mentor hat und sieht darin Vorteile für beide Seiten. "Dass Jung und Alt voneinander lernen, ist etwas, das wir als Gesellschaft dringend brauchen. Die Erfahrenen geben weiter, die Jungen bringen frische Energie, das ist ein guter Austausch."

Selbstbewusstsein und Leistungen steigern sich

Ahmeds Entschlossenheit sei ihm schon im Bewerbungsprozess aufgefallen, erzählt Menacher. "Nachdem er die Bewerbung geschickt hat, hat er sofort angerufen und gefragt, ob er auch vorbeikommen kann. Er hat nicht lockergelassen. Diesen Biss wünschen wir uns auch für zukünftige Kolleginnen und Kollegen." Es mache ihm Spaß zu sehen, wie sich Ahmed während seines Praktikums entwickelt.
 
Auch Gunter Sterz ist zufrieden mit seinem Mentee und freut sich darüber, wie Ahmed selbstbewusst seinen Weg geht. "Er ist viel selbstbewusster geworden und auch seine Leistungen in der Schule und in der Ausbildung haben sich dramatisch verbessert. Er hat jetzt im Februar seine Zwischenprüfung mit einem super Ergebnis abgelegt", erzählt der Mentor. Wenn er so weitermacht, sagt Gunter, "mache ich mir keine Sorgen, dass er genau dort ankommt, wo er hinmöchte".

Sendung: rbb24 Inforadio, 27.05.2025, 8:45 Uhr