Archivbil: Eine "Black Lives Matter" Demonstration gegen Rassismus in Berlin, 27.06.2020 (Quelle: dpa/Ben Kriemann)

Berlin Fünf Jahre Black-Lives-Matter:"Es gibt keine Weiterentwicklung, sondern einen ganz klaren Rückschritt"

Stand: 24.05.2025 16:23 Uhr

Der Afroamerikaner George Floyd wurde 2020 von einem weißen Polizisten ermordet. Tausende gingen auf die Straße, die Black-Lives-Matter-Bewegung erlebte einen großen Aufschwung. Was sie erreicht hat, erklärt Sozialwissenschaftler Cihan Sinanoğlu.

rbb: Herr Sinanoğlu, wie steht es aktuell um die Black-Lives-Matters-Bewegung?
 
Cihan Sinanoğlu: Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Die Ermordung von George Floyd hat weltweite Proteste ausgelöst, nicht nur in den USA, sondern auch in Europa, auch in Deutschland. Was die reinen Zahlen betrifft, war die Bewegung viel größer als die Bürgerrechtsbewegung in den 60er Jahren in den USA.

Bildnis von George Floyd an der Grafittimauer im Berliner Mauerpark (Quelle: picture alliance/SZ Photo/Rolf Zöllner).
Was die weltweite Black-Lives-Matter-Bewegung erreicht hat - und was nicht
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Aber was sie tatsächlich erreicht hat? Das sieht eher schlecht aus. Es gab sehr, sehr viele Forderungen aus der Black-Lives-Matter-Bewegung, aber auch aus anderen antirassistischen Bewegungen in Bezug auf institutionellen Rassismus. Aber strukturell ist da eigentlich relativ wenig passiert. Also zum Beispiel in den USA gab es die Forderung: "Defund the Police", also dass der Polizei finanziellen Strukturen entzogen werden und man nochmal grundsätzlich über neue Formen von Sicherheit, von Ordnung in den einzelnen Bezirken nachdenkt, das System grundsätzlich reformiert und verändert.
 
Und da ist eigentlich relativ wenig übriggeblieben, sondern ganz im Gegenteil, wir erleben jetzt einen Rückgang dieser Entwicklungen, die damals angestoßen wurden. Also in den USA wurden zum Beispiel die Polizeiapparate und die Strukturen ausgebaut und die Repressionen haben zugenommen. Es ist relativ ernüchternd, wenn man sich anguckt, was passiert ist, wie stark die Bewegung war und wie wenig eigentlich davon übriggeblieben ist.

In Berlin waren teilweise damals 15.000 Menschen bei den Protesten. Die Sozialen Medien haben viel Aufmerksamkeit erzeugt. Hat die Bewegung gar keinen Eindruck hinterlassen?
 
Doch, ein großer Verdienst dieser Bewegung war es, den Begriff des institutionellen Rassismus in den öffentlichen Diskurs zu bringen. Es gab eine Zeit, in der das besprechbar wurde. Es gab durchaus auch politische Entwicklungen, sowas wie den Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus, der von der damaligen Bundesregierung um Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) ins Leben gerufen wurde. Und dann wurden 89 Maßnahmen entwickelt. Zum Beispiel wurde der nationalen Diskriminierungs - und Rassismusmonitor aufgebaut und ein Antirassismusbeauftragter installiert. Es ist also nicht so, dass nichts passiert wäre. Aber man sieht, es braucht viel mehr, um Rassismus wirklich ernsthaft und nachhaltig begegnen zu können. Das war nicht genug.
 
Es gab ein kurzes Zeitfenster, wo tatsächlich Geld in die Hand genommen wurde, in dem auch strukturell bestimmte Dinge angestoßen wurden. Aber wir merken gerade, dieses Fenster ist zu. Die Repressionen und rassistischen Debatten haben zugenommen. Also wenn wir jetzt fünf Jahre zurückgucken, muss man einfach sagen, es gibt keine Weiterentwicklung, sondern einen ganz klaren Rückschritt. Gerade auch mit der letzten Bundestagswahl. Die Diskurse, die wir um Migration geführt haben, da ging es nur um Sicherheit, nur um Kriminalität, die waren rassistisch: Grenzkontrollen verschärfen, bestimmte Personen abschieben, Staatsbürgerschaften entziehen usw. Sie sind geprägt von rassistischen Stereotypen und Narrativen. Also es zeigt uns, die Lage ist auf jeden Fall schlimmer geworden als vor fünf Jahren.

Also ist die Bewegung tot und es gibt gerade keine Hoffnung oder sehen Sie, dass etwas passiert?
 
Doch, es gibt immer wieder Widerstand. Es gibt breite Allianzen, Solidaritäten. Diese Menschen gehen gruppenübergreifend gegen Rassismus auf die Straße. Das haben wir nach den "Correctiv"-Recherchen sehen können. Und ich glaube, es ist wichtig, nicht den Mut zu verlieren, sondern sich an diese antirassistischen Bewegungen und Kämpfe immer wieder zu erinnern. Weil, wie gesagt, wenn man jetzt quasi hoffnungslos wird oder sich zurückzieht, wird die Lage noch schlimmer. Das Gegenteil ist der Fall: Es ist jetzt wichtiger denn je, gegen Rassismus auf die Straße zu gehen und die Stimme zu erheben.

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Gibt es aktuell eine neue Bewegung, die Sie wahrnehmen?
 
Also ich kann sie nicht sehen und nicht entdecken. Und ich glaube, diese einzelnen Proteste, die wir Anfang des Jahres und Anfang letzten Jahren gesehen haben, haben erstmal Hoffnung gemacht. Aber die Debatten um Rechtsextremismus greifen zu kurz. Weil Rassismus, wenn wir ihn verstehen, ein gesellschaftliches Phänomen ist. Es geht nicht nur um die AfD und Rechtsextreme. Rassismus ist in der Mitte der Gesellschaft und organisiert, wie wir zum Beispiel über Arbeit oder Bildung nachdenken. Rassismus hat sich in unsere Institution eingenistet und verhindert die Teilhabe eines großen Teils dieser Bevölkerung.

Bitte nennen Sie konkrete Beispiele von strukturellem Rassismus, etwas auf dem Arbeitsmarkt.
 
Es gibt Experimente, die zeigen, dass Menschen mir Namen wie Ali Hassan - also einem nicht deutsch klingenden Namen - sich zehnmal mehr bewerben müssen als Menschen mit deutschen Namen. Oder auch, wenn wir gucken, in welchen Berufen die rassifizierten Gruppen eigentlich arbeiten: Wir sehen, sie sind überproportional im Niedriglohnsektor oder in der Leiharbeit tätig - also in prekären Verhältnissen. Und das fällt nicht einfach vom Himmel, sondern ist quasi Folge von rassistischen Strukturierungen in unserer Gesellschaft.

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Auch die Frage der Repräsentation: Im Bundestag oder auch in Dax-Unternehmen und Führungspositionen sind Menschen mit Migrationshintergrund unterrepräsentiert - eigentlich in allen gesellschaftlichen Bereichen. Das ist tatsächlich systematisch und strukturell. Und wenn ich mir zum Beispiel die Berliner Polizei angucke, gibt es dort, glaube ich, schon fast 50 Prozent Mitarbeiter mit Migrationshintergrund. Trotzdem hört dadurch racial profiling nicht auf. Dafür müssten Gesetze und Organisationen geändert werden.
 
Es gibt also den einen Schlüssel für Rassismus, der alles löst, weil er seit Jahrhunderten gewachsen ist. Wir brauchen unterschiedliche Strategien und Maßnahmen, um Rassismus wirklich nachhaltig bekämpfen zu können. Und die Frage von Diversität löst das Problem nicht, sondern wir müssen Institutionen schaffen, die alle Menschen gleichermaßen behandeln und ihnen Lebenschancen in diesem Land bieten.

Im Umbau der Institutionen sind wir also noch nicht besonders weit gekommen?
 
Nein, da sind wir nicht besonders weit. Und es hat sich in den letzten Jahren sogar verschlechtert. Wir haben eine Studie gemacht, wo wir die Menschen gefragt haben, ob sie Rassismus als Problem wahrnehmen. 90 Prozent in dieser Gesellschaft sagen, Rassismus ist ein Problem in Deutschland. Also das heißt, es scheint eine Problemwahrnehmung zu geben und gleichzeitig fehlen aber die strukturellen und gesellschaftlichen Veränderungen, die mit dieser Anerkennung eigentlich einhergehen müssten. Das heißt, hier ist eigentlich die Politik gefragt. Es ist ein politischer Auftrag, dieses Thema auf allerhöchster politischer Ebene zu behandeln. Und wir leben aber im Grunde genommen genau das Gegenteil.
 
Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führt Juliane Kowollik für rbb24 Inforadio.
 
Sendung: rbb24 Inforadio, 23.05.2025, 8:50 Uhr