
Berlin Brandenburg Firmen weichen nach Brandenburg aus: 800 Neuanmeldungen im Speckgürtel
Die Berliner Verkehrsbehörde hatte nach Verstößen 2.000 Autos gesperrt, die über Apps von Uber, Bolt & Co. vermittelt wurden. Einige Firmen weichen jetzt nach Brandenburg aus. Der Landkreistag warnt vor kriminellen Strukturen. Von J. Göbel und S. Adamek
- In Brandenburg gibt es rund 800 neue Mietwagen
- Verdacht, dass sie kaum dort, sondern nur in Berlin fahren
- Berliner Behörden gehen gegen illegale Mietwagen vor und bieten Unterstützung an
- Landkreistag und Verkehrspolitiker fordern Register für illegale Firmen
Bis vor kurzem war es ein reines Berliner Thema: Billig-Chauffeure, die – vermittelt über Apps wie Uber oder Bolt - Fahrgäste befördern und bei Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen betrügen. Wie rbb24 Recherche jetzt herausfand, ist das Problem nun aber auch in einigen Brandenburger Landkreisen angekommen.
Deutlich mehr Mietwagen aus Brandenburg für Uber, Bolt & Co. unterwegs
Laut einem Schreiben der zuständigen Zulassungsbehörde, dem Berliner Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo), das rbb24 Recherche exklusiv vorliegt, sei es zu einer "Abwanderung von Mietwagenunternehmen" nach Brandenburg gekommen, um "strengeren Kontrollen in Berlin zu entgehen." Viele dieser jetzt in Brandenburg zugelassenen Fahrzeuge sind allerdings fast ausschließlich auf Berlins Straßen unterwegs. Ein klassisches Ausweichmanöver.
Was das bedeutet, sehen sich die verkehrspolitischen Sprecher der SPD-Fraktionen im Brandenburger Landtag und im Berliner Abgeordnetenhaus bei einem Treffen Mitte Mai zum gemeinsamen Interview in Berlin-Mitte an: Pausenlos rollen Mietwagen mit Brandenburger Kennzeichen wie BAR, LDS oder MOL vorbei.

"Organisierte Kriminelle haben ein neues Spielfeld: Brandenburg"
Kriminelle in der Mietwagenbranche seien vermutlich immer noch in Berlin unterwegs, befürchtet der Berliner Verkehrspolitiker Tino Schopf (SPD). Jetzt würden sie aber wohl von Brandenburg aus operieren, sagt Schopf im Interview mit dem rbb.
Währenddessen zeigt die Brandenburger Landtagsabgeordnete Martina Maxi Schmidt (SPD) auf ein weiteres Mietwagen-Fahrzeug mit Brandenburger Kennzeichen. Womöglich einer von gut 800 neuen Mietwagen, die seit Anfang 2024 im Umland neu registriert wurden, wie die Landesregierung Schmidt auf ihre parlamentarische Anfrage mitteilte. "Hier sehe ich die Zahlen bestätigt", sagt Schmidt bei dem Termin in Berlins Mitte. Der Anstieg der Zulassungen um gut ein Drittel ist auffällig – auch wenn es in den Landkreisen durchaus den Bedarf nach Alternativen zum Taxi gibt.
Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung haben sich hinter Stadtgrenze verlagert
Die Fahrzeuge, die per App bestellt werden können, gehören nicht Uber oder Bolt selbst, sondern sogenannten Mietwagen-Unternehmen, die die Fahrzeuge betreiben. 2.000 dieser Autos wurden in den zurückliegenden beiden Jahren in Berlin gesperrt. Ein Teil, weil er ohne Konzession unterwegs war, andere waren nicht ausreichend versichert oder es wurden Steuern hinterzogen und Fahrer arbeiteten "schwarz". Plattformen wie Uber oder Bolt konnten daraufhin viel weniger Fahrzeuge vermitteln.
In Berlin habe man den Markt bereinigt, fasst Schopf zusammen, doch es sei zu vermuten, dass kriminelle Unternehmen jetzt nach Brandenburg wechselten. Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung würden wohl nur hinter die Stadtgrenze verlagert, sagt Schopf: "Organisierte Kriminelle haben ein neues Spielfeld: Brandenburg".
Verwaiste Grundstücke und Briefkastenfirmen mit angeblichen Millionen-Umsätzen
rbb24 Recherche hat ein Dutzend neue Firmensitze in vier Brandenburger Landkreisen, in denen die Zulassungen besonders stark zugenommen haben, aufgesucht. Laut Gesetz muss es dort ein besetztes Büro geben, Pausenräume für die Fahrer und Stellplätze für die Autos.
Auf einem alten Industrie-Areal in Rüdersdorf soll eine Mietwagenfirma residieren, die eine Konzession der Verkehrsbehörde in Märkisch-Oderland erhalten hat. Doch statt Parkplätzen für die 24 konzessionierten Mietwagen finden sich auf dem Areal nur ein alter abgestellter Trabi, Bahnschienen, die im Nichts enden und eine Baustelle. Immerhin ist die Zentrale mit einer Mitarbeiterin besetzt, die von ihrem Laptop aus Fahrten annimmt und an die Fahrer weiterreicht.
Fahrer müssen - eigentlich - zum Betriebssitz zurückkehren
Die Mitarbeiterin sagt, draußen werde zwar gebaut, aber es sei – wie vorgeschrieben – genug Platz für die Fahrzeuge. Ein Blick auf den Laptop belegt: In wenigen Minuten ploppen immer wieder Fahrten mitten in Berlin auf. Zwar ist ein obligatorischer Aufenthaltsraum für die Fahrer vorhanden, doch von denen ist niemand zu sehen. Auch draußen sieht es nicht so aus, als würden regelmäßig Mietwagen an- und abfahren. Dabei müssten bei einer Mietwagenzentrale eigentlich regelmäßig Fahrzeuge inklusive Fahrer nach der Rückkehr auf dem Hof stehen und auf den nächsten Auftrag warten. Denn wenn es keine unmittelbaren Anschlussaufträge gibt, müssen die Fahrer zum Betriebssitz zurückkehren.
Der zuständige Landkreis teilt rbb24 Recherche mit, die Firma habe bei einer Betriebsbesichtigung Stellplätze vorgewiesen und ein Betriebsleiter sei anwesend gewesen. Aber: "Inzwischen liegen Hinweise vor, dass die tatsächliche Betriebsstätte dort derzeit nicht betrieben wird." Insbesondere die Rückkehrpflicht der Fahrer werde nun kurzfristig überprüft.

Verwaiste Parkplätze vor Brandenburger Mietwagenfirmen – meist sind die Autos in Berlin.
Zahlreiche weitere Beispiele
Eine andere Firma residiert in Schönefeld (Dahme-Spreewald) in einem großen Geschäftshaus und hat laut Handelsregister einen weiteren Geschäftssitz in Flughafen-Nähe. Doch in beiden Büros sind keine Mitarbeiter anzutreffen – auch hier gebe es keinen aktiven Mietwagenverkehr vor Ort, bestätigen Personen aus dem Umgebung. Die zuständige Landkreis-Behörde teilt dazu mit, die Firma habe 19 Mietwagen, es sei nicht bekannt, dass es vor Ort keinen Fahrverkehr und keine Autos gebe. Die Firma selbst reagierte auf eine Anfrage des rbb nicht.
An einer Adresse in Bernau (Barnim) sind offiziell sechs Mietwagenfirmen ansässig, drei davon haben Genehmigungen vom Landkreis, um Fahrgäste über Plattformen wie Uber und Bolt zu befördern. Bei ihnen gibt es wie vorgeschrieben Parkplätze, ein besetztes Büro und Pausenräume. Doch alles wirkt neu und unbenutzt. Es kommen oder fahren auch keine Autos. Eine Stunde lang ist kein einziger Fahrer zu sehen.
Der zuständigen Behörde in Barnim ist bekannt, dass viele Neuanträge von Unternehmen kommen, die "im Berlin-nahen Raum einen Standort begründen und für Vermittlungsplattformen in Berlin fahren möchten", wie sie mitteilt. Das Fahren in Berlin sei nicht verboten, sofern die Rückkehrpflicht eingehalten werde.
Alles wirkt neu und unbenutzt. Es kommen oder fahren auch keine Autos. Eine Stunde lang ist kein einziger Fahrer zu sehen.

Landkreistag wünscht koordiniertes Vorgehen
Laut Gesetz müssen die Autos nach einem Auftrag sofort zum Firmensitz zurückkehren, sofern sie keinen Anschlussauftrag erhalten. Doch Insider berichten übereinstimmend, die Autos seien hauptsächlich in Berlin unterwegs: Wenn die Fahrer in Bernau Pause machen würden, könne man "den Laden gleich dicht machen", sagt ein Büromitarbeiter. Das könnte bedeuten, die Firmensitze sind lediglich eine Kulisse, errichtet für die Behörden.
Alarm schlägt deshalb auch der Landkreistag. In einem Schreiben vom 10. März, das rbb24 Recherche exklusiv vorliegt, bittet der Spitzenverband der Brandenburgischen Landkreise das Infrastrukturministerium in Potsdam um Hilfe angesichts "der illegalen Strukturen im Mietwagengewerbe". "Wir würden es sehr begrüßen, wenn Ihr Haus zeitnah auf die Landkreise zugehen würde, damit sich in enger Absprache dieser Problematik angenommen wird", heißt es in dem Schreiben.
Das Brandenburgische Infrastrukturministerium schreibt dem rbb, man habe das Problem "Schattenwirtschaft im Mietwagengewerbe" im Blick und bereite ein Gespräch mit den Kreisen vor. Auch Vertreter der Berliner Genehmigungs- und Kontrollbehörde Labo würden teilnehmen.

Bessere Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg gefordert
Aktuell bietet das Berliner Labo den Brandenburger Behörden Unterstützung beim Umgang mit den Zulassungen an. Das geht aus einem gemeinsamen Schreiben des Labo und der Berliner Senatsverwaltung für Verkehr an die Brandenburger Landkreise und kreisfreien Städte vom 6. Mai hervor, das dem rbb ebenfalls vorliegt. Sie werben deshalb für ein gemeinsames abgestimmtes Vorgehen, das verhindern könne, dass sich Steuerverstöße und Sozialleistungsbetrug im Umland etablierten.
Momentan handhabt es jeder Landkreis anders: Einige stimmen sich mehr und andere weniger mit den Berliner Behörden ab. Besonders in Barnim, Dahme-Spreewald und in Teltow-Fläming sind die Anmeldungen hochgeschossen: In diesen Kreisen hat sich die Anzahl der insgesamt angemeldeten Fahrzeuge von Januar 2024 bis März 2025 verdoppelt.

In Berlin wurden 2.000 Autos gesperrt, die für Uber, Bolt oder Bliq fuhren.
Problem: Gesetzliche Grundlage für Datenabgleich fehle bisher
Der Berliner Abgeordnete Schopf fordert bereits seit einem Jahr erfolglos, auch die Brandenburger Landkreise in die "AG Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft im Taxi- und Mietwagengewerbe" einzubinden. In der AG arbeiten Zoll-, Finanz- und Genehmigungsbehörden zusammen. Ebenso fordert er einen Datenabgleich zwischen Berlin und Brandenburg. In einem digitalen Register könnte jederzeit geprüft werden, ob Firmen oder Personen auffällig waren oder gesperrt wurden. Das sei jedoch rechtlich momentan nicht möglich, schreibt die Berliner Verkehrsverwaltung dem rbb, es fehle eine bundesgesetzliche Grundlage. Man begrüße ausdrücklich jede bundesrechtliche Initiative, denn "das wäre ein wichtiger Schritt zur Vermeidung rechtswidriger Geschäftsmodelle".
Die Plattformanbieter wie Bolt, Uber oder Bliq hatten schon in der Vergangenheit die Zusammenarbeit mit dem Berliner Labo ausgeweitet und zugesagt, gesperrte Firmen nicht mehr zu vermitteln.
Sendung: Radioeins, 20.05.2025, 05:00 Uhr