
Berlin Landesparteitag der Berliner Linke: Neue Visionen und alte Sorgen
Nach dem starken Abschneiden bei der Bundestagswahl hat die Berliner Linke das nächste Ziel vor Augen: 2026 das Rote Rathaus zu erobern. Der Parteitag am Wochenende wird aber auch von einer neuerlichen Antisemitismusdebatte überschattet. Von Sebastian Schöbel
An wundersame Wiederauferstehungen glaubte man bei den Linken eigentlich eher nicht – bis es der Partei selbst widerfuhr. Vor der Bundestagswahl standen die Linken vor dem Sturz in die politische Bedeutungslosigkeit, selbst in ihrer Hochburg Berlin sprachen manche Mitglieder vom Kampf ums Überleben.
Rund drei Monate nach der Wahl aber kann sich der Berliner Linken-Chef Maximilian Schirmer selbstbewusst hinstellen und verkünden: "Unser Ziel ist es, eine rote Metropole Berlin als Vision zu entwickeln." Bis 2040 solle die Realität werden, 2026 sei dafür "nur ein Zwischenschritt", so Schirmer. Wo dieser Schritt hinführen soll, ist aus Linken-Sicht aber auch klar: ins Roten Rathaus.

"Der Streit ist raus"
Tatsächlich hat man die Linken in Berlin schon lange nicht mehr so optimistisch erlebt. Noch im Oktober 2024 endete ein Parteitag im Eklat, nachdem der Streit über linken Antisemitismus und die Einstellung zum Staate Israel eskaliert war. Prominente Mitglieder, darunter der allseits beliebte Ex-Kultursenator Klaus Lederer, traten aus.
Doch der Wahlerfolg im Februar, auch dank einer großangelegten Kampagne mit etlichen Freiwilligen, und vor allem rund 8.000 Neumitgliedern allein in Berlin haben die Gräben zugeschüttet. "Wir haben in dieser Partei lange Jahre erlebt, wie unterschiedliche Blöcke oder Flügel sich konfrontativ gegenüberstehen", sagt Schirmer heute. "Der Streit ist raus", so der Berliner Linken-Chef, und fügt mit einem Seitenhieb auf das Bündnis Sahra Wagenknecht hinzu: "Der Streit hat ja auch eine eigene Partei gegründet."
Mieten, Klima, Gerechtigkeit
Und so soll es jetzt um Themen gehen, mit denen die Linke 2026 in Berlin stärkste Kraft werden will: Mieten, Klima, Gerechtigkeit. Mit einem "Sicher-Wohnen-Gesetz" sollen alle Vermieter, nicht nur die landeseigenen Unternehmen, verpflichtet werden, die Hälfte ihrer Wohnungen an Menschen mit niedrigen oder durchschnittlichen Einkommen zu vermieten. "Die Kompetenz für die Wohnungsbewirtschaftung liegt auf Länderebene", betont Linken-Chefin Franziska Brychcy, deswegen sei eine solche Regelung in Berlin möglich – anders als der Mietendeckel.
Zudem soll es schärfere Regeln bei der Bekämpfung von Mietwucher, deutlich mehr Auflagen für Zwangsräumungen und mehr Transparenz mit einem Wohnungskataster geben. "Die Regulierung des Berliner Wohnungsmarktes steht für uns als Linke im Zentrum, und wir wollen alles ausschöpfen, wofür das Land Berlin auch die Kompetenz hat", so Brychcy.

Dazu gehört auch der Volksentscheid zur Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen. Und die Linke will noch weiter gehen: Auch bei leerstehenden Einkaufszentren soll der Staat zugreifen können und die Zentren im Sinne der Allgemeinheit nutzen, bevor Investoren die schwächelnden Shoppingtempel aufkaufen, abreißen und stattdessen teure Luxuswohnungen bauen.
"Wenn wir ein Bürgerhaus im Stadtteil brauchen, um verschiedene soziale Angebote zusammenzufassen, und dort steht ein Center zu zwei Drittel leer, dann glaube ich, ist das schon mal ein kluger Vorschlag", sagt Linken-Geschäftsführer Bjoern Tielebein, und verweist als Beispiel auf seinen Heimatbezirk Marzahn-Hellersdorf und das Einkaufszentrum "Zu den Eichen".
8.000 Neumitglieder wollen integriert werden
Mit solchen Themen könne man auch die zahlreichen neuen Mitglieder mobilisieren, sagt Linken-Chef Schirmer. In zahlreichen Veranstaltungen auf Bezirksebene lerne man sich gerade kennen, so Schirmer – und für die Neuen sei das mitunter auch ein Crashkurs in Sachen Kommunalpolitik. Gleichzeitig soll die positive Dynamik und Energie der neuen Mitglieder in das nächste Wahlprogramme einfließen.
Viele von ihnen dürften auch nach Ämtern streben, etwa in den Bezirksverordnetenversammlungen, wo man dann zum Beispiel eine fundierte Meinung zur Parkraumbewirtschaftung brauche, so Schirmer. "Wir müssen jetzt natürlich viele Debatten vielleicht auch noch mal neu führen."

Diskussion um Antisemitismus-Definition
Was bei Parkausweisen und Knöllchen-Zonen allerdings weniger kontrovers sein dürfte als bei anderen Themen. Den Umgang mit Antisemitismus zum Beispiel: Denn seit dem jüngsten Bundesparteitag der Linken in Chemnitz wird wieder einmal darüber diskutiert, wie es die Partei damit hält.
Anlass war ein erfolgreicher Antrag, der die Linke bei der Definition von Antisemitismus auf die "Jerusalemer Erklärung" festlegt – ein Dokument, das israelische Wissenschaftler 2021 als Alternative zur bislang vorherrschenden Definition International Holocaust Remembrance Alliance präsentierten.
Im Kern geht es um die Frage, wann Kritik am israelischen Staat zu Hassrede gegen Jüdinnen und Juden wird – eine Debatte, die nicht nur die Linke in Berlin bereits tief gespalten hat. "Für uns ist das Existenzrecht Israels nicht verhandelbar", betont Brychcy nun erneut. "Kritik an dem Vorgehen der israelischen Regierung, beispielsweise in Gaza, halten wir aber für legitim und das würde aus meiner Sicht nicht den Tatbestand des Antisemitismus erfüllen", so die scheidende Parteichefin. "Trotzdem glaube ich, dass man nicht per Beschluss einfach sagen kann, wir nehmen jetzt diese Definition und damit haben wir eine Grundlage, um Antisemitismus immer zu erkennen."
Ähnlich hatten es auch der Bundesvorsitzende der Linken, Jan van Aken, und Thüringens linker Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow formuliert und sich gegen den Parteitagsbeschluss gestellt – allerdings erfolglos.

Kerstin Wolter will neue Co-Vorsitzende werden
Beim Berliner Parteitag spielt das Thema Nahostkonflikt nun offiziell keine Rolle. Unter der Oberfläche präsent bleiben wird es aber – und zwar auch wegen Kerstin Wolter. Sie tritt gemeinsam mit Maximilian Schirmer für die Doppelspitze an. Brychcy zieht sich aus persönlichen Gründen in die zweite Reihe zurück und will sich wieder verstärkt um Bildungspolitik kümmern.
Wolter wurde 1986 in Mecklenburg-Vorpommern geboren, kam über den Widerstand gegen den Irak-Krieg zu den Linken und ist als marxistische Feministin seit Jahren stark in der Frauenbewegung. Und sie gehört der jüngeren Linken-Generation an, die deutlich israelkritischer auftritt als das Parteiestablishment – was Wolter Ende 2024 auch mit damaligen Parteigrößen wie Klaus Lederer und Elke Breitenbach in Konflikt brachte. Wolter hatte sich damals dagegen ausgesprochen, den Terror der Hamas mit dem Begriff "eliminatorischer Antisemitismus" zu versehen, weil diese Zuschreibung nur für den Holocaust der Nazis genutzt werde. Die folgende, hoch emotionale Debatte führte zum Bruch mehrerer Mitglieder mit der Partei, darunter Lederer und Breitenbach.
"Mir tut es im Rückblick sehr leid, dass wir damals nicht zu einer gemeinsamen Lösung gekommen sind und dass es diese Austritte gab", sagt Wolter jetzt auf Nachfrage des rbb. Sich gegen Antisemitismus zu stellen sei für die Linke genauso wichtig wie der Widerstand gegen alle anderen Formen der Ausgrenzung. Der Lernprozess für sie persönlich sei aber, dass vor Beschlüssen zu einem so komplexen Thema wie Antisemitismus "offene Gespräche" geführt werden müssten, nicht nur parteiintern, sondern auch mit der Zivilgesellschaft.
Für diejenigen, die damals im Streit auch über den von ihr unterstützen Antrag die Partei verlassen haben, will sie Gesprächskanäle offenhalten. "Es ist mein Anspruch, sollte ich Landesvorsitzende werden, dass ich mit allen Beteiligten spreche."
Sendung: rbb24 Inforadio, 17.05.2025, 7:30 Uhr