
Berlin Brandenburg Musikerin Balbina im Interview: Mit dem Song 'Vatertag' möchte ich ein Tabu brechen"
Die deutsch-polnische Musikerin Balbina pendelte als Kind viel zwischen Ost und West. Dieses Gefühl trage sie noch in sich, sagt sie im Interview. Und sie erzählt auch, wie die Nachricht vom Tod ihres Vaters im letzten Jahr alles durcheinanderwarf.
rbb: Ihr neues Album erschien später als geplant aufgrund des Todes Ihres Vaters. Wie hat sich dieser Schicksalsschlag auf das Album ausgewirkt?
Balbina: Mir war schon vor zwei Jahren klar, dass ich mich auch als Künstlerin mit der Unendlichkeit beschäftigen möchte. Und dann habe ich letztes Jahr davon erfahren, dass mein Vater verstorben ist. Das hat mich aus der Bahn geworfen. Es hat mich in allem, was ich getan habe, so beschäftigt, dass ich das Album nicht wie geplant finalisieren konnte. Deswegen habe ich beschlossen, Songs noch mal zu tauschen und andere Songs mit aufzunehmen. Es sind jetzt nur noch zwei Songs von dem ursprünglichen Album drauf: "Das Gefühl ist tot", was vorher schon rauskam, und "Infinity Tunes". Sechs Songs habe ich erst gegen Ende des Jahres geschrieben.
In Ihrem Song "Vatertag" singen Sie "Der Tag, an dem mein Vater starb, war der Tag, an dem es plötzlich einen Vater gab". Wie ist diese Zeile zu verstehen?
Ich hatte eine nicht existente Beziehung zu meinem Vater. Und in dem Augenblick, wo ich von dem Tod meines Vaters erfahren habe – das war auch weit nach seinem Tod – habe ich mehr denn je gespürt, dass ich einen Vater habe. Denn zum einen kam der Schmerz, zum anderen kam das Bewusstsein, dass er mal da war.
Gleichzeitig habe ich mich gefragt, ob ich diese Trauer und Melancholie fühlen darf, wenn doch die Beziehung so problematisch war. Die Hookline des Songs entstand in wenigen Minuten. Als ich ihn dann fertig komponiert habe, habe ich häufiger überlegt, ob diese Transparenz ok ist für mich als Künstlerin. Ich bin aber an den Punkt gekommen, dass ich glaube: Es gibt viele Kinder, die in solchen Verhältnissen aufwachsen und an diesem Punkt im Leben keine Ahnung haben, ob sie trauern dürfen oder nicht. Mit dem Song "Vatertag" möchte ich ein Tabu brechen.
Was hat sich an Ihrer Schreibweise verändert?
Es ist schon bemerkenswert, wie ein Ereignis alles, was danach folgt, verändert. Dieses Sterbeereignis meines Vaters hat mir noch mal gezeigt, dass es wirklich manchmal vorbei ist, gewisse Dinge zu reflektieren oder in Gang zu setzen. Und in diesem Geiste sind diese Songs auch geschrieben. Der Song "Kissen" zum Beispiel behandelt die Situation, dass man darauf wartet, endlich zu leben, während man sich selbst optimiert.

Und was ist es, was Sie jetzt in Gang setzen wollen?
Auch kleine Momente - um Beispiel Götterspeise essen. Sie wackelt vor mir her und ich freue mich darüber, dass ich gleich den Geschmack im Mund haben werde und dass dieses visuelle Ereignis da ist, so trivial es sich anhört. Diese wackelnde Götterspeise ist meines Erachtens der beste Zugang zur Gegenwart. Klingt vielleicht crazy, aber das ist genau das, worauf ich mich jetzt konzentriere. Auf die Götterspeise, auf den Sonnenuntergang und auf das Leben an sich, auf das beschwingte Leben.

Blicken Sie jetzt anders auf den Tod?
Ich glaube, ich habe in den letzten Monaten viel gelernt. Ich habe nicht mehr wirklich Angst vor dem Tod, also vor dem Moment, wo ich nicht mehr da bin, sondern eher vor dem Sterbeprozess, vor den Herausforderungen im Sterben. Denn ich habe jetzt auf eine verrückte Art und Weise meinen Frieden damit geschlossen und mir ganz oft vorgestellt, wie es wäre, wenn ich nicht mehr da wäre. Es bereitet mir kein Unbehagen.
Im Song "Zwischen zwei Welten" geht es um Ihre Kindheit. Von welchen zwei Welten singen Sie?
Ursprünglich könnte man denken, es handelt sich um Polen und Deutschland. Und was ich jetzt mittlerweile glaube, nachdem ich den Song geschrieben habe, ist, dass die größte Herausforderung aus dem Transit heraus entstanden ist. In der Kindheit sind wir immer von Westberlin nach Ostberlin, von Ostberlin nach Polen zu den Großeltern gependelt und wieder zurück. An jeder Grenze hatte man Angst, dass irgendwas passiert. Diese Angst geht in deine DNA und du hast das Gefühl, du gehörst nirgendwo hin. Der Mensch an sich ist aber ein Herdentier, und man möchte zu irgendwas gehören, man möchte so sein wie alle anderen auch.

Fühlen Sie sich heute immer noch so?
Das hat mich als Kind geprägt, und es war eine große Herausforderung. Aber mit der Zeit habe ich auch gelernt, was es heißt, sich ein soziales Umfeld aufzubauen und dass es eben nicht bedeutet, sich geografisch zu verorten. Wenn mich mittlerweile jemand fragt, wo ich herkomme, sage ich: "Ich komme aus Berlin, ich bin Berliner." Aber das Kindgefühl, das ist noch in mir.
Wer wollten Sie als Kind sein und welche Person sind Sie letztendlich geworden?
Ich wollte als Kind immer so sein wie die Mädchen aus meiner Klasse, aus dem Kindergarten, die ihr geregeltes Leben hatten, in ihren Häusern gewohnt haben und Kindergeburtstage hatten mit Schleifen auf dem Kopf. Das war mein großes Ziel und habe immer wieder gemerkt, ich bin aber irgendwie dann doch nicht so ganz wie alle anderen mit meinen verrückten Plänen für die Zukunft und was ich alles noch verwirklichen möchte. Ich habe eigentlich immer geplant, eine andere Person zu werden. Ich bin aber zufrieden mit dem, was ungeplant dabei rauskam.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Balbina führte Lilli Klinger.
Sendung: rbbKultur – das Magazin, 10.05.2025, 18:30 Uhr