
Berlin Brandenburg Warum Tausende Minderjährige Postkarten von der Bundeswehr erhalten
Die Bundeswehr wirbt mit personalisierten Postkarten gezielt um Menschen, die im kommenden Jahr 18 Jahre alt werden. In den nächsten Jahren will die Armee größer werden - und auch Jüngere werden eingestellt. Von Juan F. Álvarez Moreno
"Du willst wissen, welche Chancen und Perspektiven die Bundeswehr für dich bietet?" Mit diesem Satz beginnt eine Werbepostkarte, die in den vergangenen Tagen an Tausende Minderjährige in der Region verschickt wurde. Beworben wird ein Informationstag der Bundeswehr. Ziel der Veranstaltung ist es, Nachwuchs für die Truppe zu gewinnen.
Beim sogenannten "Talent Scout 2025" am 28. Juni verspricht die Bundeswehr eine "VIP-Experience", "exklusive Erlebnisse" und eine "Backstage-Tour". Jugendliche dürfen sich auf "modernste Ausrüstung" freuen und die Truppe "hautnah" erleben. Die jungen Empfängerinnen und Empfänger finden ihren Nachnamen auf der Rückseite der Postkarte fett gedruckt.
Rund 650.000 personalisierte Infoschreiben wurden dieses Jahr deutschlandweit an 16- und 17-Jährige verschickt, wie das Bundesverteidigungsministerium auf eine Anfrage von rbb|24 mitteilte. Die Aktion erfolge seit 2011 ein- bis zweimal pro Jahr.

Auch 16-Jährige können angeschrieben werden
Grund dafür ist die Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011. Seitdem muss die Bundeswehr aktiv um Nachwuchs werben. "Als einer der größten Ausbilder- und Arbeitgeberinnen in Deutschland ist die Bundeswehr – wie andere Großorganisationen und Unternehmen auch – von den aktuellen Entwicklungen am Arbeitsmarkt betroffen und steht im ständigen Wettbewerb mit anderen Arbeitgebern", teilte eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums mit. Zu den Kosten der Aktion äußerte sich das Ministerium zunächst nicht. Nach Veröffentlichung dieses Artikels schob die Sprecherin nach, die diesjährige Postkartenaktion habe rund 340.000 Euro gekostet. Geld an die Meldebehörden für die Bereitstellung der Daten sei nicht geflossen.
Die personalisierten Postkarten sind aus rechtlicher Sicht unproblematisch: Laut Paragraf 58c des Soldatengesetzes übermitteln die Meldebehörden dem Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr jährlich – bis zum 31. März – die Kontaktdaten deutscher Staatsbürger, die im folgenden Jahr volljährig werden. In der Praxis bedeutet das, dass sowohl 17-Jährige als auch viele 16-Jährige angeschrieben werden können.
Die Bundeswehr erhält allerdings nicht alle verfügbaren Daten der Minderjährigen: Laut Gesetz dürfen nur der Vorname, der Familienname und die Anschrift übermittelt werden. Die Bundeswehr muss die Daten nach einem Jahr löschen und darf sie nur verwenden, um Informationsmaterial über Tätigkeiten in den Streitkräften zu versenden.

Schon 17-Jährige können zur Bundeswehr
Was viele nicht wissen: Bereits mit 17 darf man Zeitsoldat werden - vorausgesetzt, die Eltern stimmen zu. Laut eigenen Angaben stellte die Bundeswehr im vergangenen Jahr 2.203 Soldatinnen und Soldaten im Alter von 17 Jahren ein. Sie machten damit rund zehn Prozent der Neueinstellungen aus.
Die 17 Jahre alten Bundeswehrangehörigen üben keinen Dienst an der Waffe aus, wie eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums mitteilte. "Der Gebrauch der Waffe ist bei 17-jährigen Soldatinnen und Soldaten allein auf die Ausbildung beschränkt und unter strenge Aufsicht gestellt."
Kritiker: Gefahren werden nicht genannt
Die gezielte Bundeswehr-Werbung für Minderjährige wird nicht von allen begrüßt. "Wir sehen das sehr kritisch", sagt Michael Schulze von Glaßer, Sprecher des Bündnisses "Unter 18 nie!" und politischer Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegnerinnen. "Man sollte volljährig sein, um überhaupt zur Bundeswehr gehen zu dürfen." Junge Menschen hätten ein erhöhtes Risiko, traumatisiert zu werden, so der Sprecher.
Schulze von Glaßer spricht von "teilweise skrupellosen Methoden" bei der Nachwuchswerbung. Die Bundeswehr suggeriere in ihrer Werbung, dass es beim Dienst um Abenteuer und großartige Technik gehe. Doch Gefahren oder die Möglichkeit, auf andere Menschen schießen zu müssen, würden nicht genannt. "An uns haben sich mehrere empörte Eltern gewandt, die das gar nicht gut fanden und auch berichtet haben, dass ihre Kinder doch ein bisschen schockiert waren."
Wer kein Infoschreiben der Bundeswehr erhalten will, kann bei der Meldebehörde der Weitergabe der eigenen Daten widersprechen. Das ist im Soldatengesetz festgelegt [gesetze-im-internet.de]. Empfängerinnen und Empfänger können auch nachträglich beim Personalmanagement der Bundeswehr die Löschung ihrer Daten verlangen. Die entsprechende Postadresse steht auf der Postkarte.

"Schwedisches Modell" könnte vieles ändern
Die Bundeswehr hat aktuell rund 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten und etwa 10.000 freiwillig Wehrdienstleistende. Die Zahlen sind seit Jahren stabil, doch für viele Beobachter ist die deutsche Armee angesichts aktueller Bedrohungen und Krisen zu klein. Die Bundeswehr will die Personalstärke bis 2031 auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten erhöhen.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will deswegen bald einen neuen Wehrdienst starten, der sich am sogenannten schwedischen Modell orientieren soll. Dabei sollen alle 18 Jahre alten Menschen ein Formular ausfüllen. Danach soll die Bundeswehr die für sich geeigneten Personen kontaktieren, ob sie einen Grundwehrdienst ableisten wollen.
Der neue Wehrdienst soll laut Koalitionsvertrag "zunächst" auf Freiwilligkeit basieren. Sollten nicht genug Freiwillige gewonnen werden, ist eine Wehrpflicht nicht ausgeschlossen. Unklar ist, ob mit dem "Schwedischen Modell" auch weiterhin 17-Jährige von der Bundeswehr angesprochen werden sollen. Wenn nicht, würde das neue Wehrdienstmodell wohl das Ende der Bundeswehr-Postkarten bedeuten.