
Hessen Ampel-Jongleure in Frankfurt: Ein Leben zwischen Autos, Applaus und Gefahr
Keulen fliegen, ein Ball tanzt auf dem Kopf - in Frankfurt trifft man an Ampeln immer mehr Straßenjongleure. Miguel aus Argentinien ist einer von ihnen. Ein Leben im Rhythmus der Ampel – zwischen Mittelstreifen, Applaus und Gefahr.
Wenn die Ampel an der Kreuzung Miquel-/Adickesallee im Frankfurter Nordend auf Rot springt, beginnt für Miguel der Wettlauf gegen die Sekunden. 55 davon hat er: 40 für die Jonglage, 15 um Geld einzusammeln. Drei Keulen wirbelt er durch die Luft, während ein Fußball auf seinem Kopf tänzelt. Zum Schluss kickt er seinen Hut in die Luft - und fängt ihn mit dem Kopf auf.
Mancher gibt zwei Euro
Eine kurze Verbeugung, manchmal Applaus von vorbeilaufenden Passanten, gelegentlich aufmunterndes Hupen. Miguel, der seinen echten Namen lieber nicht im Netz lesen möchte, nimmt den Hut von seinem Kopf und eilt zu den Autos, deren Fensterscheiben sich öffnen.
Manch einer gibt zwei Euro, die meisten geben nichts. Dann springt die Ampel auf Grün, die Autos fahren an, Miguel tänzelt auf dem Mittelstreifen zurück. Und wartet auf die nächste Rotphase.
Zahl der Straßenkünstler steigt
Miguel, Ende 20, aus Argentinien, ist einer von rund 30 Kleinkünstlerinnen und -künstlern, die den Frankfurter Straßenverkehr mit ihren Kunststücken an Ampelkreuzungen beleben - oder behindern, je nachdem, wen man fragt.
Häufig sieht man sie an der Bockenheimer Warte, an der Friedberger Landstraße, an der Ostend- oder Hügelstraße. Wie viele genau hier arbeiten, weiß niemand. Die meisten Straßenkünstler sind nur wenige Wochen da. Auch die Stadt Frankfurt hat keinen Überblick. Auf Nachfrage teilt das Ordnungsamt mit, dass ihre Zahl tendenziell steige.
Fast alle, mit denen man spricht, stammen aus Südamerika. Um für maximal 90 Tage nach Deutschland einzureisen, brauchen die meisten südamerikanischen Staatsbürger kein Visum. Die Spendenbereitschaft in Deutschland, so berichten es mehrere, sei relativ hoch, die Lebenshaltungskosten vergleichsweise gering.
Kritische Passanten und Autofahrerinnen
In Argentinien, Brasilien oder Chile gehören die jonglierenden "Mochileros" - "Rucksackreisenden" - längst zum Straßenbild. Dass man sie seit einigen Jahren auch in deutschen Großstädten wie Frankfurt trifft, freut nicht jeden: Als "aufdringlich" empfindet eine Autofahrerin die Jongleure, "gefährlich" urteilt ein Passant.
Und tatsächlich ist die Sache mit der Sicherheit nicht von der Hand zu weisen: Setzt sich der Pulk an Pkw wieder in Bewegung, steht Miguel häufig noch mitten auf der Straße in der zweiten oder dritten Reihe anfahrender Autos. Wenige Zentimeter trennen ihn dann von quietschenden Reifen, die schnell auf 20, 30 km/h beschleunigen.
Verboten, aber geduldet
Auch deswegen ist Miguels Arbeit nicht erlaubt. Von einem "gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr“ spricht das Ordnungsamt. Ein Fußgängerüberweg sei eben "nur zur sicheren Überquerung der Fahrbahn gedacht“ und nicht als Ersatzbühne. Außerdem bräuchten Miguel und die anderen eine gewerbliche Genehmigung, da sie Dienstleistungen im öffentlichen Raum anböten.
Wenn die Polizei vorbeifährt - und das passiert oft, das Polizeipräsidium liegt nur einen Keulenwurf entfernt - unterbricht Miguel seine Show. Nicht aus Angst, "aus Respekt“, sagt er. "Ich weiß, es ist nicht erlaubt." Doch die Polizei lasse ihn meist gewähren. "Sie mögen uns“, glaubt er. Manche Polizisten würden sogar Geld in seinen Hut werfen.
Seit zehn Jahren auf Reisen
Miguel kommt aus Buenos Aires, der argentinischen Hauptstadt. Teile seiner Familie leben in Spanien. Zehn Jahre, seit Ende der Schulzeit, reist er nun schon als Jongleur um die Welt: erst durch Südamerika, dann durch Europa. Nach Stationen in Italien, Frankreich und Köln lebt er seit einigen Monaten in Frankfurt.
Ob er nächste Woche noch hier sein wird, weiß er nicht. Gerade ist sein Mietvertrag ausgelaufen, er wohnt mit einem Bekannten in einer WG. Andere Ampel-Künstler kommen in Hostels oder bei Bekannten unter.
Sieben-Tage-Woche
Zur Arbeit trägt Miguel Sonnenbrille, Jogginghose und ein verwaschenes T-Shirt. Während der Shows summt er vor sich hin. Meist beginnt er morgens zur Stoßzeit, wenn Pendlerinnen und Pendler in die Stadt drängen, und macht erst abends Schluss. Sieben Tage die Woche, wenn das Wetter mitspielt.
Miguel ist unabhängig, hat weder Partnerin oder Partner noch Kinder. Abends trifft er andere südamerikanische Künstlerinnen und Künstler. Eine Community? Ja, das könne man schon sagen. Doch wegen der hohen Fluktuation bleibe der Kontakt meist oberflächlich.
Die Vorteile der Mainmetropole
Warum Frankfurt? "Für Straßenkünstler ist es eine gute Stadt, ich liebe es.“ Andernorts habe er schon mit korrupten Beamten und Straßenkriminalität zu kämpfen gehabt. "Hier ist es sehr entspannt, sehr sicher.“ Im Vergleich zu seiner Heimatstadt sei Frankfurt zudem überschaubar: "Du kannst überallhin Fahrrad fahren.“
Reich wird Miguel mit der Arbeit auf der Kreuzung nicht, aber es genügt zum Leben und zum Reisen. Was er täglich verdient, möchte er nicht sagen. Andere sprechen von 50 Euro an guten Tagen. Je nach Professionalität, Wetter und Straßenkreuzung. Miguel glaubt, dass ihm und seinen Kolleginnen ein Irrtum zugutekommt: "Viele halten uns für obdachlos." Das erhöhe den Unterstützungswillen.
Weg von der Straße
Die Show mit Ball und drei Keulen wiederholt Miguel über hundertmal am Tag. Er kennt sie in- und auswendig. Geht mal etwas schief, ärgert er sich. Er sammelt dann lieber kein Geld und wartet auf den nächsten Auftritt. Privat übt er lieber das Spiel mit fünf Keulen und andere Tricks, die noch nicht bühnenreif sind.
Mit der Jonglage will er weiterhin sein Geld verdienen - doch die Arbeit auf der Straße ist anstrengend. "Ich feile an meinem Programm für größere Shows.“ Als freischaffender Künstler auf Festivals auftreten, das wäre sein Ziel.
Und wenn alles andere schiefgeht? Kein Problem - "Ampeln gibt es überall."