
Mecklenburg-Vorpommern Für Störtebeker-Darsteller Moritz Stephan wird ein Kindheitstraum wahr
Ende Juni gehen die Störtebeker-Festspiele in Ralswiek wieder los. Seit 2022 wird der legendäre Klaus Störtebeker von Moritz Stephan verkörpert. Im Interview erzählt der Schauspieler, was ihn an dieser Rolle besonders reizt.
Herr Stephan, erwachsene Menschen spielen im Sand mit Schwertern in der Hand - leben Sie damit Ihren Kindheitstraum?
Stephan: Ich denke schon, so fühlt es sich an. Im Pausen-Klatsch und -Tratsch kommt es schon so rüber, vor allem für die neuen Kollegen, die die Festspiele selber besucht haben und sich gedacht haben: Wie toll wäre das, hier mal mitzumachen! Und jetzt machen Sie es, haben ganz strahlende Augen und sind überglücklich. Und so geht es auch mir immer noch, selbst im vierten Jahr mittlerweile. Wobei ich sagen muss, dass es für mich fast ein 30-jähriges Bühnenjubiläum ist, weil vor 1995 meine Mutter hier das erste Mal spielte und ich somit diese Bühne seit 30 Jahren kenne.
Ihr Vater hat auch mitgespielt, oder?
Stephan: Genau, der hat von 2008 bis 2011 hier gespielt. Parallel dazu habe ich studiert und mir das angeguckt. Es begleitet mich also schon mein ganzes Leben.
Sie haben die Auftritte als Störtebeker mit einem Rock 'n' Roll-Konzert verglichen. Wie macht man sich da fit? Man braucht offenbar eine Menge Kondition. Das sind 80 Meter Bühne mit knöcheltiefem Sand, in dem man sich da bewegt.
Stephan: Ich habe jeden Morgen mein Fitnessprogramm, wo ich eine kleine Routine durchgehe: zehn Klimmzüge, zehn Liegestütze, zehn Dips und so weiter. Direkt vor der Vorstellung gibt es noch eine kleine Dehn- und Aufwärmaktion; da muss die Stimme natürlich auch ein bisschen erwärmt werden. Denn auch wenn wir mit Mikroports verstärkt sind und theoretisch auch flüstern können, gibt es im Kampfgetöse schon so manches Gebrüll. Und wenn es nicht gerade vorher geregnet hat, ist die Bühne sehr staubig, und da muss man ein bisschen auf sich achten, wie bei einem Rockkonzert.
Mittlerweile, sagen Sie, sei es Ihr Störtebeker geworden. Erklären Sie uns etwas genauer, was Sie damit meinen.
Stephan: Als ich hier angefangen habe, war der Störtebeker schon geprägt von vielen anderen Vorgängern. Ich selbst hatte auch meine Lieblinge - Norbert Braun, Sascha Gluth - und musste ein bisschen noch rausfinden, wie ich selber auf der Bühne funktioniere. Weil auf so einer großen Bühne habe ich vor 2022 noch nicht gespielt.
Das ist eine der größten Freilichtbühnen Europas.
Stephan: Ganz genau. Das muss man erst einmal begreifen, auch körperlich und stimmlich. Was habe ich für eine Wirkung? Was kann ich erzielen? Nach "Gotland unter Feuer" und dem letzten Teil im vergangenen Jahr habe ich es dann doch zu meinem gemacht mit meinem Gestus, meinem Duktus. Da ist ein bisschen Moritz drin, da ist aber auch ein bisschen der Freibeuter drin, den man gerne mal verkörpern möchte, der deutsche Robin Hood quasi, der Held, der gegen die Bösen kämpft. Das machst du im Alltag sonst nicht. Es ist schwer zu erklären. Vorbeischauen und sich das angucken - dann weiß man, was ich meine.
Das kann man tun: vom 28. Juni bis 13. September, in diesem Jahr unter dem Titel "Freibeuter der Meere". Für Sie, den bisher jüngsten Störtebeker, sind es schon über 70 Vorstellungen. Was ist für Sie dabei nach wie vor der Hauptreiz?
Stephan: Dass jede Vorstellung wirklich anders ist. Natürlich spielen wir per se dasselbe Stück, wir haben denselben Text, dieselben Abläufe, aber dadurch, dass das so ein Riesenapparat ist, mit 120 Kleindarstellern, zehn Reitstatisten, sechs Stuntmen, einem Pyro-Team, uns 13 Schauspielern, Wolfgang Lippert als Sänger und den ganzen Tieren auf der Bühne, kann immer eine Kleinigkeit passieren, die man vorher nicht berechnen konnte. Man geht aber spontan damit um. Das ist ein starker Teamgeist, und egal was passiert, die Kiste rollt weiter. Das finde ich immer sehr spannend. Das wird nie langweilig, keine Vorstellung ist wie die andere, obwohl wir dasselbe Stück spielen.
Zeitgenössische Quellen zu Klaus Störtebeker fehlen. Um seine Person rankten sich ganz viele Legenden, die nicht historisch belegt sind. Ich könnte mir vorstellen, dass man da viel Ausgestaltungsspielraum als Schauspieler hat, oder?
Stephan: Oh ja. Es gibt hier und da kleine Notizen von irgendeinem Versicherungsbuch der Hanse, wenn Schiffe gekapert wurden. Oder in Wismar hat im 14. Jahrhundert wohl ein Schankwart in seinem Tagebuch festgehalten, dass ein paar Raufbolde die Kneipe auseinandergenommen haben. Unter anderem soll da ein Nikolaus dabei gewesen sein. So kann man sich das ein bisschen zusammenreimen. Aber die Freiheit, den so zu gestalten, wie man denkt, dass ein Held sein soll - das ist natürlich der Reiz an der ganzen Sache.
Hat denn der Störtebeker auch eine Botschaft, von der Sie sagen, dass die eigentlich auch ganz prima ins Heute passt?
Stephan: Für das Miteinander zu kämpfen. Aber vielmehr sollte man eine Achtsamkeit an den Tag legen und weniger dem Egoismus frönen. Gerade in diesem Jahr geht es darum, dass Klaus von Alkun mitkriegt, wie mächtige, reiche Leute Schuldscheine aufkaufen, um seine Familie vom Hof zu jagen, um an den Lehm, der in der Erde steckt, für den Kirchbau heranzukommen. Da passiert viel Korruption, viel Ungerechtigkeit. Das ist, solange es die große Schere zwischen Armut und Reichtum gibt, immer ein aktuelles Thema. Da braucht es manchmal jemanden, der sich dagegen stellt. Ich glaube, das können wir uns alle ein bisschen auf die Fahne schreiben. Ich meine keine aggressiven Tätigkeiten, aber einfach ein bisschen Courage in den Alltag bringen.
Das Gespräch führte Philipp Cavert.
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NDR Kultur | Journal | 28.05.2025 | 16:15 Uhr