Hebamme Johanna Ebenthal bei der Arbeit.

Niedersachsen Neuer Vertrag für Hebammen: Fatale Folgen für Schwangere und Babys?

Stand: 23.05.2025 06:41 Uhr

Die Vergütung von freiberuflichen Hebammen wird ab November mit dem Hebammen-Hilfevertrag neu geregelt. Besonders die Arbeit im Kreißsaal soll davon betroffen sein: Einige Beleghebammen haben Angst um ihre Existenz.

Von Fritzi Blömer

Johanna Ebenthal ist Hebamme mit Leib und Seele. Schon als Jugendliche war ihr Berufswunsch klar und auch heute kann sie sich nichts anderes vorstellen: "Ich weiß, dass ich da, wo ich bin, richtig bin." Seit Kurzem hat die 33-Jährige jedoch Angst, dass sie bald nicht mehr so arbeiten kann wie bisher - als Beleghebamme im Vechtaer Marienhospital. Die finanzielle Situation sei als Freiberuflerin in der Geburtshilfe schon immer schwierig, sagt Ebenthal. Seit Jahren habe es keine Gehaltsanpassungen gegeben. Sie muss sich selbst versichern und rechnet einzelne Leistungen direkt mit der Krankenkasse ab.

Weniger Geld - gleiche Verantwortung

Der neue Vertrag sieht nun vor, dass Hebammen für die Betreuung von mehreren Schwangeren gleichzeitig weniger Geld bekommen als bisher. Für die erste Frau gibt es 80 Prozent des Stundenlohns, den Hebammen generell erhalten. Für die zweite und dritte Frau 30 Prozent, ab der vierten Frau gibt es dann kein zusätzliches Geld mehr. Die Hebammen rechnen mit Einbußen von bis zu 40 Prozent. Ein Unding, finden Ebenthal und ihre Kolleginnen, denn die Verantwortung bleibe dieselbe - bei jeder Frau und bei jedem Baby.

Hebamme Johanna Ebenthal bei der Arbeit.

Hebamme Johanna Ebenthal wünscht sich eine faire Bezahlung. Sie will ihren Job im Kreißsaal nicht aus finanziellen Gründen aufgeben müssen.

Noch keine Schwangere abgewiesen

Im St. Marienhospital arbeiten vierzehn Hebammen im Belegsystem. Einige denken nun darüber nach, nur noch Vor- und Nachsorge anzubieten. Wenn tatsächlich Hebammen im Kreißsaal aufhören, müssten auch mal Schwangere abgewiesen werden. Bisher habe sie das in Vechta in ihren zehn Dienstjahren noch nie erlebt, sagt Ebenthal. Man finde immer eine Lösung, sagt die Hebamme. So soll es auch bleiben, findet Geschäftsführer Aloys Muhle. Er steht hinter den Hebammen und dem Belegsystem, das sich in Vechta bewährt hat. Dass Beleghebammen in Zukunft weniger verdienen könnten, findet er unsäglich.

Belegsystem hat viele Vorteile

Das größte Problem laut Muhle: der konkrete Vertrag liegt noch gar nicht vor. Insofern könne man nicht genau abschätzen, wie die Situation ab November aussehen wird und auch noch keine konkreten Maßnahmen ergreifen. Der Geschäftsführer will aber in jedem Fall Lösungen finden - gemeinsam mit den Hebammen, die gerne freiberuflich tätig bleiben wollen. Unter anderem wegen der größeren Flexibilität. Sie müssen sich nicht an den Arbeitsschutz halten, arbeiten oft in 12- oder sogar 24-Stunden Diensten. So haben auch die Schwangeren unter der Geburt eine größere Verlässlichkeit in der Betreuung.

Ziel: Die Geburtshilfe in Vechta halten

Die Geburtshilfe ist eine wichtige Säule des St. Marienhospitals. Im vergangenen Jahr wurden dort mehr als 1.800 Kinder zur Welt gebracht. Das Krankenhaus ist ein Level-1-Haus. Dort werden Risikoschwangerschaften betreut, Frühchen geboren und engmaschig überwacht oder - wie vor Kurzem - Vierlinge zur Welt gebracht. Laut niedersächsischem Hebammenverband hat der Landkreis Vechta damit landesweit das einzige Perinatalzentrum, das ausschließlich mit Beleghebammen arbeitet. Diese gewachsene Struktur sei nun gefährdet.

Hebamme Johanna Ebenthal sitzt zusammen mit Familie Thole neben einem neugeborenen Baby.

Eine Geburt bedeutet Verantwortung für eine ganze Familie, findet Hebamme Johanna Ebenthal.

Region rund um Vechta besonders betroffen

Auch die Kliniken in Damme, Quakenbrück und Wildeshausen arbeiten ausschließlich mit Beleghebammen. Überall stellt man sich die Frage: Können unsere Kreißsäle überleben? Und was wäre die Folge, wenn weitere Hebammen sich aus der Geburtshilfe zurückziehen? Der deutsche Hebammenverband konstatiert: Am Ende zahlen Frauen den Preis. Der Verband hat eine gleichlautende Petition gestartet. Und noch eine weitere Petition macht auf Social Media die Runde. Der GKV- Spitzenverband, die Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, hält all die Kritik für unbegründet.

Eins-zu-eins-Betreuung ist unrealistisch

Die Schiedsstelle hatte sich dem Vorschlag des Spitzenverbandes angeschlossen. Der Verband glaubt, dass die Änderungen eine Eins-zu-eins-Betreuung unter der Geburt stärken. Vor allem durch einen neuen Zuschlag: wenn eine Hebamme eine Gebärende zwei Stunden vor und zwei Stunden nach der Geburt durchgehend betreut. "Das ist nicht realistisch, Geburten sind nicht planbar", sagt Hebamme Johanna Ebenthal. Die 33-Jährige hofft, dass sie auch weiterhin im Vechtaer Kreißsaal arbeiten kann. Denn Kinder mit auf die Welt zu bringen, sei mit das Erfüllendste in ihrem Beruf.

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Niedersachsen | Hallo Niedersachsen | 23.05.2025 | 19:30 Uhr