
Niedersachsen Oldenburger Fliegerhorst: Stadtrat fordert lückenlose Aufklärung
In der Affäre um illegal entsorgten Giftmüll auf dem ehemaligen Fliegerhorst in Oldenburg erhöhen Stadtrat und Fraktionen den Druck auf Oberbürgermeister Jürgen Krogmann (SPD). In einem Dringlichkeitsantrag fordern sie Aufklärung.
Im Oldenburger Stadtrat steht am Montagabend eine turbulente Sitzung bevor. Es geht um Oberbürgermeister Jürgen Krogmann (SPD) und seine Glaubwürdigkeit. Im Zentrum der Kritik: sein Umgang mit Korruption und Giftmüll auf dem ehemaligen Fliegerhorst. "Es sind schon andere wegen weniger zurückgetreten", hatte der CDU-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat, Christoph Baak, schon im Vorfeld festgestellt. Jetzt liegt ein Dringlichkeitsantrag vor, den alle im Rat vertretenen Fraktionen - außer dem AfD-Ratsherrn Andreas Paul - gemeinsam eingebracht haben. Darin wird unter anderem gefordert, die "aktuellen schwerwiegenden Vorwürfe" umfassend aufzuklären. Es sei Vertrauen in die korrekte Arbeitsweise der Verwaltung verloren gegangen. Krogmann wird aufgefordert, bis September 2025 eine Antikorruptionsstrategie vorzulegen, "die auch den rechtskonformen Schutz von Hinweisgebern umfasst“"
Abbruchunternehmer und Gutachter trotz Ermittlungen weiter für Stadt tätig
Insgesamt listet der Dringlichkeitsantrag sieben Punkte auf. So wird unter anderem verlangt, an das beschuldigte Abbruchunternehmen aus der Nähe von Soest in Nordrhein-Westfalen und den ebenfalls beschuldigten Gutachter aus dem Ammerland, der die Arbeiten für die Stadt kontrollieren sollte, keine weiteren Aufträge mehr zu vergeben. Beide arbeiten seit Jahren eng zusammen bei der Sanierung des ehemaligen Militärgeländes, beide sind aktuell weiter im städtischen Auftrag tätig - trotz der schwerwiegenden Vorwürfe. Denn gegen beide ermittelt die Staatsanwaltschaft Osnabrück wegen Korruptions- bzw. Betrugsverdachts.
Stadt zahlte Nachschläge in Millionenhöhe
Es bestehen vor allem Zweifel, ob die vorgelegten Rechnungen der tatsächlich geleisteten Arbeit entsprechen. Der externe Gutachter hat sie kontrolliert und abgezeichnet. Die Mitarbeiter vom Fachdienst "Projekt Fliegerhorst" setzten ihre Unterschrift darunter und die Stadt zahlte - zum Teil Nachschläge in Millionenhöhe. Die Homepage des Gutachters ist seit einiger Zeit offline. Sein Büro wurde Ende Februar durchsucht, ebenso wie die Geschäftsräume des Abbruchunternehmens. Für die Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung. Anfragen wurden nicht beantwortet.
Hinweisgeberin verlor ihren Job
Oberbürgermeister Krogmann hätte schon im September 2023 hellhörig werden müssen. Damals meldete eine städtische Mitarbeiterin ihre Vermutung, dass ein Kollege Bestechungsgeld kassiert habe. Krogmann erstattete zwar Anzeige und der beschuldigte Stadtamtsrat wurde in den Vorruhestand geschickt. Abbruchunternehmer und Gutachter blieben dagegen unbehelligt. Die "Whistleblowerin" wurde strafversetzt und verlor anschließend sogar ihren Job.
Stadtmitarbeiter fürs Wegschauen bezahlt?
Abbruchunternehmer und Gutachter stehen mittlerweile auch im Fokus von Ermittlungen zu einem Umweltvergehen. Es besteht der dringende Verdacht des "unerlaubten Umgangs mit Abfällen", wie es in einer Mitteilung der Oldenburger Staatsanwaltschaft heißt. Vermutlich wurde kontaminiertes Abbruchmaterial in großer Menge nicht ordnungsgemäß entsorgt, sondern illegal vergraben. Zusammen mit den Kollegen aus Osnabrück ermitteln die Oldenburger gegen den ehemaligen städtischen Mitarbeiter. Nach NDR Informationen soll er 25.000 Euro vom Abbruchunternehmer kassiert haben. Möglicherweise dafür, dass er wegguckt, während die schweren Spezial-Fahrzeuge damals tagelang asbest- und PAK-verseuchten Schutt auf die ehemalige Schießbahn kippten.
Stadt blieb trotz Hinweisen untätig
Trotz der internen Hinweise und der Aussage eines Baggerfahrers, dass tonnenweise giftiges Abbruchmaterial illegal in der Schießbahn vergraben wurde, passierte vonseiten der Stadt erst einmal wenig. Über ein Jahr weigerten sich Verwaltung und Oberbürgermeister Krogmann, dem dringenden Verdacht nachzugehen und das Gelände selbst zu beproben: zu aufwändig, zu teuer, zu gefährlich. Außerdem seien dort nur Baumstümpfe, Wurzelwerk und grobgesiebte Erde eingebracht worden. Der Oberbürgermeister ließ den Rat im Glauben, der Kampfmittelräumdienst habe von einer Beprobung dringend abgeraten. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit.
Aktenvermerk widerspricht offizieller Darstellung
Dem NDR Niedersachsen liegt ein interner Aktenvermerk aus dem April 2024 vor, in dem es wörtlich heißt: "Es sind Bodenuntersuchungen mittels Baggerschürfe vorzunehmen." Lediglich "Sondierbohrungen" seien unter "Kampfmittelaspekten nicht zu empfehlen". An der Besprechung hatten zwei Kampfmittelexperten teilgenommen sowie ein Mitarbeiter des Projektteams und eine Mitarbeiterin der städtischen Bodenschutzbehörde.
OB Krogmann: "Bauen Sie keinen Popanz auf"
Anträge, das Gelände nun endlich selbst zu beproben, waren also meistens schon vom Tisch, bevor sie überhaupt im Rat gestellt werden konnten. Das traf auch Nicolai Beerheide, Ratsmitglied der Grünen, den der Oberbürgermeister Ende September 2024 während einer öffentlichen Ratssitzung abkanzelte: "Bauen Sie keinen Popanz auf, reden Sie den Fliegerhorst nicht zu einer Giftmülldeponie herunter." Und auch im November 2024 blieb Krogmann dabei: "Es gibt keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass kontaminiertes Material in erheblicher Menge eingebracht wurde." Er präsentierte umfangreiche Berechnungen der Stadtverwaltung, die das beweisen sollten. Sie beruhten allerdings vor allem auf Zahlen des beschuldigten Abbruchunternehmens.
Flächendeckend verseuchtes Abbruchmaterial
Während Oberbürgermeister Krogmann mauerte, handelte schließlich die Oldenburger Staatsanwaltschaft. Mit einem richterlichen Durchsuchungsbeschluss verschaffte sie sich Ende Februar Zugang zur ehemaligen Schießbahn, untersuchte das 8.000 Quadratmeter große Gelände mit einem Bagger und stieß "flächendeckend" auf asbest- und PAK-verseuchtes Abbruchmaterial. PAK steht für hochgiftige Polyzyklische Kohlenwasserstoffe. Eine illegale Giftmülldeponie.
Stadt: "Material wurde planmäßig verwendet"
Die Stadt hält dagegen: Es sei kein Abfall. Das Material sei "planmäßig" verwendet worden, um die möglicherweise mit Munition belastete Schießbahn abzudecken und so zu sichern. Es sollte ein "Sicherungsbauwerk" entstehen, indem die ehemaligen Schießstände bis zur Oberkante der umgebenden Erdwälle verfüllt werden. Aber das ist nach Auffassung der Ermittler gar nicht zulässig.
Mitarbeiter von Gartenbauamt: Keinerlei Schutzmaßnahmen
Mitarbeiter des Gartenbauamtes hatten die verseuchten Erdmassen mit einer dünnen Schicht Mutterboden abgedeckt und anschließend Gras eingesät. Dass sie dabei mit asbest- und PAK-verseuchtem Material in Berührung kamen, war ihnen nicht bewusst. Es gab keinerlei Schutzmaßnahmen. Ein Sprecher der Stadt erklärte dazu noch vergangene Woche, es sei davon auszugehen, dass die besagte Fläche nicht kontaminiert war - "zumindest nicht zum Zeitpunkt der Begrünung". Wie es dann nachträglich dazu kommen konnte, dass dort jetzt 32.000 Kubikmeter kontaminiertes Material lagern - siehe die Ergebnisse der Probenentnahme der Staatsanwaltschaft -, ließ er offen.
Krogmann: "Überhaupt keine Gefährdung"
Nur einen Tag, nachdem die Oldenburger Staatsanwaltschaft die katastrophalen Probenergebnisse veröffentlicht hatte, verschickte die Stadt eine Pressemitteilung, nach der Grundwasseranalysen "unauffällig" seien. Oberbürgermeister Jürgen Krogmann sagte dem NDR Niedersachsen, es bestehe "überhaupt keine Gefährdung". Dabei ist es zweifelhaft, ob Wasserproben aus frisch gebohrten Brunnen überhaupt zuverlässig sind. Sie waren erst eine Woche in Betrieb.
Tiefe Risse im rot-grünen Bündnis
Dass Oberbürgermeister Krogmann am Montag zurücktritt, wie es die Junge Union fordert, ist unwahrscheinlich. Aber das ihn stützende Bündnis aus der größten Ratsfraktion, den Grünen, und der SPD hat tiefe Risse bekommen.
Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Niedersachsen | Regional Oldenburg | 22.05.2025 | 09:30 Uhr