
Niedersachsen Rechtsextrem? Razzien bei Polizisten - Vorwürfe sehr konkret
Polizisten aus dem Emsland und Hann. Münden sollen den Hitlergruß gezeigt und Aufnahmen von ausländischen Mitbürgern in Zellen verbreitet haben. Bei beiden gab es Razzien.
Die Staatsanwaltschaft Osnabrück sprach gegenüber NDR Niedersachsen von sehr konkreten Vorwürfen, weil sie den Ermittelnden als elektronische Daten vorlägen. Demnach werden ein 27-jähriger Polizist der Polizeiinspektion Emsland/Grafschaft Bentheim und ein 21-jähriger Polizeianwärter aus Hann. Münden (Landkreis Göttingen) unter anderem beschuldigt, rechtsradikales Gedankengut verbreitet zu haben. Am Mittwoch wurden ihre Wohnungen durchsucht. Zudem seien sie im Zuge eines Disziplinarverfahrens vorerst des Dienstes enthoben worden. Beide Männer seien verwandt - konkreter wurden die Behörden bislang nicht.
27-Jähriger soll Aufnahmen von hilflosen Personen geteilt haben
Dem 27-Jährigen legen Polizei und Staatsanwaltschaft zur Last, während seines Dienstes Aufnahmen von Menschen in hilfloser Lage gemacht zu haben, vor allem von ausländischen Personen in Zellen. Diese habe er wohl per Messenger verbreitet, sagte Staatsanwalt Alexander Retemeyer. Dies wäre eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten.
Polizeianwärter wird Zeigen des Hitlergrußes vorgeworfen
Gegen den 21-Jährigen, der bisher an der Polizeiakademie Niedersachsen am Standort Hann. Münden studiert hat, ermitteln die Behörden, weil er den Hitlergruß gezeigt haben soll. Ihm wird deshalb zur Last gelegt, sich wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen strafbar gemacht zu haben.
Bei Durchsuchungen Handys und Laptops sichergestellt
Bei den Durchsuchungen am Mittwochnachmittag stellten die Ermittler nach eigenen Angaben Handys, Laptops und elektronische Datenträger sicher. Derzeit werten die Beamten die sichergestellten Daten aus, hieß es am Donnerstag weiter vonseiten der Staatsanwaltschaft. Ins Rollen kamen die Ermittlungen aufgrund von anonymen Hinweisen.
Polizeibehörden: Nehmen Vorwürfe ernst
In einer gemeinsamen Stellungnahme sprechen sich Andrea Menke, Polizeivizepräsidentin der Polizeidirektion Osnabrück, und Carsten Rose, Direktor der Polizeiakademie Niedersachsen, klar gegen rechtsextremes Gedankengut aus. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, wolle man unmissverständlich und mit entschlossener Haltung reagieren. "Die Polizei steht für die Wahrung und den Schutz der demokratischen Grundsätze in unserem Land", erklärten beide. Extremistischen Tendenzen trete man mit aller Entschlossenheit entgegen. Neben den Disziplinar- sind den Behörden zufolge Entlassungsverfahren gegen die Beschuldigten eingeleitet worden.
Direktor der Polizeiakademie: "Dann gibt es nur einen Weg: Auf Wiedersehen!"
Im Fall des 21-jährigen Polizeianwärters äußerte sich Rose gegenüber NDR Niedersachsen zu dem laufenden Entlassungsverfahren. Der 21-jährige werde angehört und dabei würde Be- und Entlastenes zusammengetragen, sagte Rose am Donnerstag. Wenn sich herausstellen sollte, dass es begründete Zweifel an der charakterlichen Eignung gebe, "dann gibt es nur einen Weg: Auf Wiedersehen! Keine Verwendung in der Polizei", so der Direktor der Polizeiakademie Niedersachsen. Aufgabe der Polizeiakademie sei es, "den Kompass" der inneren Haltung zu stärken und jegliche "rassistische, antisemitische, rechtsextreme, islamfeindliche und menschenfeindliche sowie demokratiefeindliche Einstellungen" aufzuklären und anzugehen, so Rose.
Expertin: Betreffende sehen sich oft nicht als rechtsextremistisch
"Das ist mit großer Wahrscheinlichkeit nur die Spitze des Eisberges, denn die Dunkelziffer bei rechtsextremistischen Einstellungen bei der Polizei wird viel höher geschätzt", sagte Rassismus-Forscherin Fatoş Atali-Timmer von der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg dem NDR. Oft würden sich die Betreffenden selbst nicht als rechtsextremistisch, sondern eher in der politischen Mitte oder als unpolitisch einschätzen. Die Polizei reagiere ihrer Ansicht nach in diesem Fall "sehr klar und richtig". Es werde nicht bagatellisiert und nicht unter den Teppich gekehrt. Transparenz schaffe Vertrauen gegenüber einer machtvollen Institution, so Atali-Timmer. Gleichzeitig sei davon auszugehen, dass Polizeien unzureichend gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus vorgingen. Sonst gäbe es nicht so viele "Einzelfälle".
Kriminologe: "Das große Schweigen hat aufgehört"
Auch der Polizeiwissenschaftler Rafael Behr möchte nicht von Einzelfällen sprechen. Vielmehr handle es sich um ein strukturelles Problem, das Raum für solches Fehlverhalten schaffe. "Das liegt auch an den Situationen, in denen die Beamten arbeiten. Sie haben häufig mit Grenzfällen zu tun, mit Menschen in schwierigen Umständen. Das fördert sozusagen einen Tunnelblick, und der kann in extreme Formen abgleiten", sagte Behr im Gespräch mit dem NDR Niedersachsen. Er bezeichnet das als "strukturelle Risiken". Gleichzeitig bescheinigt der Kriminologe Niedersachsen einen großen Willen zur Vorbeugung von polizeilichem Fehlverhalten. „Niedersachsen bemüht sich auf vielen Ebenen um Aufklärung und um Veränderung der Polizeikultur", so Behr. Der aktuelle Fall im Emsland und Hann.Münden sei dafür ein Beispiel. Dass dieser nur dank eines anonymem Hinweises bekannt wurde, wertet der Wissenschaftler als ein Zeichen, dass sich etwas in der Kultur der Polizei ändert. "Das ist ein Hinweis darauf, dass das große Schweigen bei der Polizei aufgehört hat", so Behr.
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NDR Fernsehen | Hallo Niedersachsen | 22.05.2025 | 19:30 Uhr