
Anschlag auf Stadtfest 2024 Beweise "erdrückend" - worum es im Solingen-Prozess geht
Der Syrer Issa Al H. soll im August vergangenen Jahres auf dem Solinger Stadtfest drei Menschen erstochen haben, der IS reklamiert den Anschlag für sich. Die Tat hatte politische Debatten befeuert. Nun hat der Prozess begonnen.
Was ist passiert?
Es sollte ein rauschendes "Festival der Vielfalt" werden: Auf drei Bühnen wollte die Stadt Solingen am 23. August 2024 ihr 650-jähriges Bestehen feiern. 75.000 Menschen wurden an dem Wochenende erwartet. Um 21.37 Uhr beginnt der Anschlag. Das Fest wird daraufhin abgebrochen.
Der Syrer Issa al H. (27) soll sich mit Messern in die Menge geschlichen und vor einer der Bühnen drei Besucher erstochen und versucht haben, zehn weitere zu ermorden. Bei den Todesopfern handelt es sich um zwei Männer (56 und 67 Jahre alt) und eine Frau (56). Acht Menschen werden verletzt. Zwei Besucher verfehlt der Angreifer knapp, zerfetzt aber ihre Kleidung. Auch diese Attacken wertet die Bundesanwaltschaft als Mordversuche.
Wenige Stunden vor der Tat soll der inzwischen 27-Jährige der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) die Treue geschworen haben. Einen Tag später bekennt sich der IS zu der Attacke - das erste Bekenntnis dieser Art seit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016.
Wie läuft der Prozess ab?
Heute muss Issa al H. nach neun Monaten Untersuchungshaft im Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer Oberlandesgerichts auf die Anklagebank. Zwei Pflichtverteidiger wurden ihm zur Seite gestellt. Sie möchten sich vor dem Prozess nicht zu den Tatvorwürfen äußern, die die Bundesanwaltschaft auf 95 Seiten ausführt.
Auf der Gegenseite werden die Verteidiger es nicht nur mit der Bundesanwaltschaft zu tun bekommen, sondern auch mit einer Reihe von Nebenklägern. Der Solinger Rechtsanwalt Simon Rampp vertritt acht Betroffene - sowohl Verletzte als auch Angehörige von Todesopfern des Anschlags.
"Aus meiner Sicht ist die Beweislage erdrückend. Die Ermittler haben extrem gute Arbeit geleistet", sagt er. Lebenslange Haft, besondere Schwere der Schuld, Sicherungsverwahrung: Er werde sich für die Höchststrafe einsetzen, sollten sich die Vorwürfe bestätigen.
Es gehe als Nebenklage-Vertreter aber auch darum, den Opfern emotional beizustehen. Mit einer materiellen Entschädigung könnten seine Mandanten nicht rechnen: "Schmerzensgeld wird bei ihm nicht zu holen sein", sagt der Anwalt. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht hat bis 24. September 22 Verhandlungstage angesetzt.
Wie lautet die Anklage?
Die Bundesanwaltschaft hat den mutmaßlichen Attentäter wegen dreifachen Mordes und zehnfachen versuchten Mordes angeklagt. Zudem wird ihm vorgeworfen, IS-Terrorist zu sein. Als radikaler Islamist habe Issa al H. eine möglichst große Anzahl aus seiner Sicht "Ungläubiger" töten wollen.
Über den Messenger-Dienst Telegram soll er vor der Tat in Kontakt zu einem IS-Mitglied gestanden und den Anschlag abgesprochen haben. Ihm soll er auch sein kurz vor dem Anschlag aufgenommenes Video geschickt haben, das der IS dann verbreitete. Issa Al H. erstellte laut Anklage auch Videos, in denen er den Treueschwur des IS verlas und seine Tat ankündigte. Die Videos übermittelte er demzufolge am Tatabend des 23. August 2024 an den IS.
Was ist über den Angeklagten bekannt?
Der Angeklagte hat sich gegenüber den Ermittlern und dem Haftrichter nicht zu den Vorwürfen geäußert. Gegenüber einem Psychiater soll er allerdings behauptet haben, während der Tat von Wahnvorstellungen und Halluzinationen getrieben gewesen zu sein. Eine Gerichtssprecherin betont dagegen, der Angeklagte gelte derzeit als voll schuldfähig.
Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung zeigten, dass sich Issa Al H. offenbar über Jahre radikalisierte und in den Tagen vor der Tat wohl eng mit dem IS in Kontakt war. Demnach soll er schon 2019, also Jahre bevor er nach Deutschland kam, im Internet Kampflieder und IS-Informationen gesucht und konsumiert haben. In der Folge soll er die Ideologie verinnerlicht haben. Das wollen Ermittler durch die Auswertung eines seiner Handys herausgefunden haben.
Issa Al H., der ursprünglich aus dem syrischen Deir al-Sor stammt, lebte zu diesem Zeitpunkt wohl in der Türkei oder in der syrisch-türkischen Grenzregion. Ende 2022 reiste er über Bulgarien weiter nach Deutschland und beantragte Asyl.
Schon 2023 sollte er den EU-Asylregeln zufolge ins Erstaufnahmeland Bulgarien abgeschoben werden. Als er aus der Flüchtlingsunterkunft abgeholt werden sollte, war er aber nicht aufzufinden. Ein weiterer Rückführungsversuch wurde nicht unternommen. Die Frist verstrich und er bekam dadurch subsidiären Schutz in Deutschland.
Was folgte nach dem Anschlag?
Der Anschlag hatte die politische Diskussion um Abschiebungen, das Dublin-System und die innere Sicherheit befeuert. Ein Sicherheitspaket wurden geschnürt und verabschiedet. Es beinhaltet Verschärfungen im Aufenthalts- und Waffenrecht sowie mehr Befugnisse für die Behörden.
Ein Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag befasst sich unter anderem mit der Frage, warum die Abschiebung des späteren mutmaßlichen Attentäters scheiterte.