
Illegale Tricks auf dem Mietmarkt Das Geschäft mit der Wohnungsnot
Korruption, Fake-Makler und ein fragwürdiger Mieterhilfsverein: Vollbild-Recherchen decken neue Maschen auf, mit denen Mieterinnen und Mieter auf dem angespannten Wohnungsmarkt abgezockt werden.
Er hat eine illegale Masche zu seinem Beruf gemacht: Als Makler führt Patrick (Anmerkung der Redaktion: Name geändert) durch eine Wohnung in Berlin-Schöneberg. Zwei Zimmer, 57 Quadratmeter, 1.400 Euro: ein stolzer Preis, aber auf dem angespannten Wohnungsmarkt in der Hauptstadt keine Seltenheit. Mittlerweile wird bei rund jeder dritten Mietwohnung in Berlin die Mietpreisbremse umgangen, indem Wohnraum möbliert und auf Zeit angeboten wird, schätzt der Berliner Mieterverein.
Doch bei dieser Wohnung gibt es noch eine Besonderheit: Als Makler verlangt Patrick von den neuen Mietern eine Vermittlungsprovision, die er in einem Vertrag festhält. Fast 2.500 Euro möchte er für seinen Service einstreichen. Dieser Service kommt allerdings vor allem der Hausverwalterin der Wohnung zugute, die Patrick offenbar regelmäßig damit beauftragt, Nachmieter für freiwerdende Objekte zu finden.
Er inseriere die Wohnungen auf der Plattform kleinanzeigen.de, erklärt Patrick während der Wohnungsbesichtigung. Indem er die Anfragen filtere, Besichtigungstermine vereinbare und dann gemeinsam mit der Hausverwalterin durch die Wohnungen führe, erspare Patrick seiner Geschäftspartnerin Arbeit.
Illegale Vermittlungsprovisionen sind kein Einzelfall
"Das Beispiel zeigt, dass das Bestellerprinzip hier einmal von hinten durch die Brust unterwandert worden ist", sagt Melanie Weber-Moritz, Bundesdirektorin des Deutschen Mieterbundes (DMB). Denn das Wohnungsvermittlungsgesetz sieht eigentlich vor, dass derjenige den Makler bezahlt, der ihn beauftragt hat - in dem Fall wäre das die Hausverwalterin, nicht der Mieter.
In Ballungsräumen wie Berlin sind Wohnungssuchende oft so verzweifelt, dass sie sich auf die Abzocke einlassen. Dass Patricks illegale Masche kein Einzelfall zu sein scheint, zeigt eine Datenauswertung des SWR-Investigativformats Vollbild: Weil der Messengerdienst Telegram in der Hauptstadt zu einer wichtigen Plattform für Wohnungsangebote geworden ist, hat Vollbild dort Tausende Inserate ausgewertet und dabei Hunderte Wohnungen identifiziert, die gegen eine Vermittlungsgebühr angeboten werden, wie auch Patrick sie verlangt. Im Schnitt sollen für eine Wohnung rund 1.700 Euro bezahlt werden.
Geheime WhatsApp-Gruppe
Auch Lukas hat Geld für seine neue Wohnung in Hamburg gezahlt. Er selbst nennt es "Bestechung". Seinen richtigen Namen möchte er deshalb nicht nennen. Lukas war Mitglied in einer geheimen WhatsApp-Gruppe. Der Administrator der Gruppe, "Chris", stellte dort jede Woche mehrere Wohnungsinserate online - mehr als 150 innerhalb eines Jahres. Bei erfolgreicher Vermittlung soll Chris 1.000 Euro in bar von den neuen Mieterinnen und Mietern verlangt haben, berichten mehrere Gruppenmitglieder Vollbild.
Viele der dort angebotenen Wohnungen waren nie auf dem Markt, Besichtigungen fanden oftmals nur mit Mitgliedern aus der WhatsApp-Gruppe statt. Die Wohnungen stammten alle aus dem Portfolio des Immobilienkonzerns Heimstaden, der in Hamburg mehr als 4.500 Wohnungen hält und in der Vergangenheit mehrfach kritisiert wurde, unter anderem wegen fehlerhafter Mieterhöhungen. Über die geheime WhatsApp-Gruppe in Hamburg hatte zuvor der Spiegel berichtet.
Zeitweise mehr als 400 Mitglieder
Im Chatverlauf, der Vollbild vorliegt, erklärt Chris, gemeinsame Sache mit einer Mitarbeiterin des Immobilienkonzerns zu machen. Ihr Arbeitgeber Heimstaden dürfe davon nichts erfahren, Mitglieder sollten sich wie "Geheimagenten" verhalten. Als Lukas den Vertrag für seine neue Wohnung bei der Heimstaden-Mitarbeiterin unterschrieb, bot sie ihm einen Monat mietfreies Wohnen an.
Lukas sagt, sie habe damit bezwecken wollen, dass er früher einziehe - so habe die Mitarbeiterin ihrem Arbeitgeber die Wohnung schneller als vermietet darstellen können. Im Mietvertrag, der Vollbild vorliegt, wird die mietfreie Zeit mit Renovierungsarbeiten begründet.
Die Nachfrage nach Wohnungen gegen Geld war offenbar so groß, dass die Gruppe zwischenzeitlich 400 Mitglieder zählte, bevor die Abzocke aufflog. Innerhalb eines Jahres könnte der Gruppen-Administrator Chris mehr als 150.000 Euro mit seiner Masche erbeutet haben.
Wer kontrollierte die Vergabe von Mietverträgen?
Heimstaden erklärte auf Vollbild-Anfrage, die Mitarbeiterin sei mittlerweile entlassen worden, außerdem habe der Konzern Strafanzeige gegen sie und zwei Administratoren der WhatsApp-Gruppe gestellt, unter anderem wegen des Verdachts auf "Bestechung in besonders schwerem Fall". Dass die WhatsApp-Gruppe nicht schon früher aufflog und die Mitarbeiterin offenbar ohne Absprache mietfreie Zeit gewähren konnte, erklärt sich der Konzern durch "Lücken im Prozess der digitalen Vertragserstellung", die mittlerweile geschlossen seien.
Nachrichten aus der WhatsApp-Gruppe von "Chris" legen nahe, dass die Mitarbeiterin zwischenzeitlich für den kompletten Hamburger Bestand allein verantwortlich war. Gab es also schlichtweg niemanden, dem Unregelmäßigkeiten in der Arbeit der Mitarbeiterin hätten auffallen können? Heimstaden äußerte sich auf Anfrage nicht dazu, wie viele Mitarbeitende für die Neuvermietung in Hamburg zum Zeitpunkt der Betrugsmasche zuständig waren.
Zwischen einer "möglichen Überlastung der ehemaligen Mitarbeiterin und der im Raum stehenden kriminellen Energie" sehe das Unternehmen aber keinen Zusammenhang. Weder der Gruppenadministrator "Chris", noch die ehemalige Heimstaden-Mitarbeiterin reagierten auf Gesprächsanfragen von Vollbild.
Selbst ein Mieterverein schlägt Profit aus der Not
Bei Problemen mit dem Vermieter sollen eigentlich Mietervereine ihren Mitgliedern zur Seite stehen. Auch Simon (Anmerkung der Redaktion: Name geändert) war auf der Suche nach Hilfe. Seinen Abwasch habe er mehrere Wochen im Badezimmer erledigen müssen, weil sein Vermieter die kaputte Spüle in seiner Küche nicht repariert habe, sagt er.
Auf der Suche nach Hilfe stieß der Student im Internet auf Mieterhilfe e.V., einen Verein, der mit rechtlichem Beistand "ohne Wartezeit" wirbt. Simon schloss eine Mitgliedschaft ab, 123 Euro wurden dafür von seinem Konto abgebucht - doch auf Hilfe habe er vergeblich gewartet.
Simon sagt, er habe mehrfach per Mail und Telefon nachgehakt, ohne Erfolg. Nach mehreren Wochen zog er seinen Mitgliedsbeitrag zurück. Erst dann habe der Verein reagiert - mit Zahlungsaufforderungen, Mahnungen und einer Inkassodrohung. Nur Hilfe habe er nicht erhalten, sagt Simon.
"Abzocke vom Feinsten"
Die Art und Weise, wie die Mieterhilfe agiere, sei "als abkassieren" einzustufen, sagt Rechtsanwalt Fritz Vollrath vom Mieterverein Heidelberg. Aus seiner Sicht ist die Mieterhilfe ein kommerzielles Unternehmen, das als Trittbrettfahrer so tue, als erbringe es dieselben Leistungen wie die örtlichen Mietervereine.
Der Vorwurf, die Mieterhilfe sei ihrem Leistungsversprechen nicht nachgekommen, findet sich neben positiven Rezensionen immer wieder auf Bewertungsplattformen: Von "Abzocke vom Feinsten" ist die Rede oder von "absolutem Scam".
Zwei Monate Wartezeit für einen Beratungstermin
Ein Selbstversuch von Vollbild lässt erhebliche Defizite erkennen. Laut Website garantiert die Mieterhilfe eine Lösung des Problems binnen 15 Tagen. Vollbild schloss in einem Selbstversuch eine zweijährige Mitgliedschaft ab und meldete einen fiktiven Wasserschaden. Die Redaktion erhielt ein Terminangebot für eine juristische Beratung zwei Monate später. Für den gemeldeten Wasserschaden wäre das wohl viel zu spät gewesen.
Auf Anfrage erklärte die Mieterhilfe, die Wartezeiten seien zuletzt gestiegen, die Website sei deshalb angepasst worden. Doch im Mai 2025 warb der Verein dort weiterhin mit Hilfe ohne Wartezeit. Mit dem Vorwurf konfrontiert, Mitglieder hätten gar keine Rückmeldung zu ihren Mietproblemen bekommen, verwies die Mieterhilfe auf mögliche Übertragungsfehler beim Problemmeldeformular.
Simon bleibt dennoch an den Verein gebunden - die Satzung schreibt eine Mindestmitgliedschaft von zwei Jahren vor. "Man will Hilfe und kriegt noch mehr Probleme", sagt Simon. Immerhin: Sein Vermieter hat die kaputte Spüle inzwischen repariert.