
Peter Scholl-Latour und der BND Deckname "Scholar"
Der Journalist und Publizist Peter Scholl-Latour war eine "Gelegenheitsquelle" des Bundesnachrichtendienstes (BND). Das zeigen Akten des Geheimdienstes, die der WDR erstmals auswerten konnte.
Er galt als einer der letzten "Welterklärer", der im August 2014 verstorbene Journalist, Publizist und Nahost-Experte Peter Scholl-Latour. Fast alle Länder der Welt hatte er bereist. Er berichtete aus Kriegs- und Krisengebieten, schrieb zahlreiche Bücher, darunter den Bestseller "Der Tod im Reisfeld" über den Vietnamkrieg, eines der erfolgreichsten Sachbücher in Deutschland.
Scholl-Latour konnte eine beachtliche journalistische Karriere vorweisen: Er war Korrespondent in Afrika, baute für die ARD das Studio in Paris auf, war Fernsehdirektor des WDR, arbeitete später für das ZDF, wurde Chefredakteur und Herausgeber des Magazins Stern. Bis ins hohe Alter war er ein gefragter Interviewpartner und Gast in Talkshows.

Im Auftrag des BND?
Nun zeigen WDR-Recherchen: Der Bundesnachrichtendienst (BND) führte ihn offenbar jahrelang auch als sogenannte Gelegenheitsquelle. Das geht aus historischen Akten des deutschen Auslandsnachrichtendienstes vor, die dem WDR vorliegen und erstmals ausgewertet werden konnten.
Eine Sprecherin des BND erklärte, Scholl-Latour sei nie als "reguläre Quelle" des Dienstes angeworben worden, habe keinen "stetigen Auftrag zur Infomationsbeschaffung" erhalten und sei auch nicht bezahlt worden. Der Begriff NDV (Nachrichtendienstliche Verbindung) sei für Scholl-Latour in den Akten nur "fälschlicherweise" verwendet worden.
Tatsächlich aber geht aus den BND-Akten hervor, dass der Geheimdienst den Journalisten sehr wohl als einen Zuträger nutzte, von dem Informationen abgeschöpft wurden und der auch Aufträge erledigt haben soll. An mehreren Stellen über verschiedene Jahre wird dies immer wieder durch Begriffe wie "Gelegenheitsquelle" oder "geführt" deutlich. Zudem werden mehrere Aufträge beschrieben.
Berichte, Bilder, Treffen
Scholl-Latour, so ist in den rund 70 Seiten aus dem BND-Archiv ersichtlich, soll dem Dienst in den 1980er-Jahren immer wieder über seine Reisen und Gesprächspartner berichtet haben. Außerdem soll er dem BND Film- und Fotomaterial aus Kriegsgebieten zugänglich gemacht haben, noch bevor dieses veröffentlicht wurde.
Auch von Aufträgen für den BND ist in den historischen Unterlagen die Rede: So heißt es etwa, Scholl-Latour solle im Libanon eine Quelle des BND treffen. An anderer Stelle ist vermerkt, dass Scholl-Latour behilflich sein wolle, eine Person aus der DDR, die beim Internationalen Roten Kreuz in Afrika tätig sei, zu identifizieren.

Frühes Interesse
Die besagten Akten hat der BND auf Antrag des WDR freigegeben, sie enthalten an mehreren Stellen umfangreiche Schwärzungen, unter anderem in den "Kontakt-Treffberichten" - so werden die Vermerke genannt, die im Dienst nach den Treffen mit Peter Scholl-Latour angefertigt worden waren. Der BND verweigerte zudem die Herausgabe von rund 25 Seiten aus dem Archiv, begründet damit, dass die Dokumente noch Schutzfristen unterlägen, oder dass der "nachrichtendienstliche Methodenschutz" oder das "Wohl der Bundesrepublik Deutschland" durch eine Freigabe gefährdet seien.
Den historischen BND-Akten zufolge interessierte sich der Geheimdienst schon Anfang der 1960er-Jahre für Peter Scholl-Latour, der damals als Korrespondent der Saarbrücker Zeitung in Leopoldville, in der heutigen Demokratischen Republik Kongo, tätig war. Viel wusste der BND zu diesem Zeitpunkt über Scholl-Latour offenbar nicht: In den Akten heißt es, das Geburtsdatum sei "etwa 1925", der Journalist sei "ca. 170cm gross, brünett", vermerkt wurde auch ein angeblich "jüdisches Aussehen", er sei "gebürtiger Saarländer“ und solle für Frankreich im Untergrund gekämpft haben.
Mit französischem Pass
Scholl-Latour wurde im März 1924 in Bochum geboren, seine Eltern stammten aus dem damaligen Elsaß-Lothringen. Zunächst besuchte er ein Internat in Fribourg in der Schweiz, dann ein Gymnasium in Kassel. Scholl-Latours Mutter war Jüdin, er selbst versuchte noch 1944 über den Balkan aus Deutschland zu fliehen, wurde allerdings gefasst und kam in Gestapo-Haft. Nach dem Krieg schloss sich Scholl-Latour dem französischen Militär an und diente in Indochina.
Beim BND herrschte anfangs noch einige Zurückhaltung im Bezug auf den Journalisten, denn es gab wohl das Gerücht, dass Scholl-Latour, der neben der deutschen auch die französische Staatsbürgerschaft besaß, möglicherweise für den französischen Geheimdienst arbeitete. Der BND versuchte herauszufinden, woher dieses Gerücht stammte.
Anwerbepläne
Im April 1962, so geht es weiter aus den BND-Dokumenten hervor, hatte der Geheimdienst dann wohl entschieden, den Journalisten anzuwerben. Peter Scholl-Latour werde, so heißt es, "im April zu einem Urlaub in die BRD kommen und soll evtl. dann geworben werden". Soweit kam es dann aber wohl zunächst nicht.
Wie das Verhältnis des BND zu Peter Scholl-Latour in den Folgejahren war, darüber liefern die Akten keine Aufschlüsse. Es wurden keine historischen Dokumente aus den 1970er-Jahren herausgegeben. Es gibt allerdings Hinweise, wonach der BND ab dem Jahr 1980 Informationen von Scholl-Latour erhalten hat.
In einem Vermerk vom 4. März 1980 wird eine anstehende Reise Scholl-Latours nach Kambodscha und ein geplantes Interview mit damaligen Staatspräsidenten Khieu Samphan erwähnt. Für Scholl-Latour wird in den BND-Unterlagen zunächst der Deckname "Frank" verwendet, da dieser allerdings schon vergeben sei, so heißt es, solle stattdessen "Pedro" genutzt werden, um Verwechslungen auszuschließen.
Sallinger und Tebs
Nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan im Dezember 1979 reiste Peter Scholl-Latour mit einem ZDF-Fernsehteam über das benachbarte Pakistan in das Kriegsgebiet ein. Diese Reise, bei der Scholl-Latour mit den afghanischen Mudschaheddin unterwegs war, sorgte offenbar dafür, dass der BND seinen Kontakt zu ihm intensivierte. Scholl-Latour bekam nun den neuen Decknamen "Scholar".
"Die Verbindung kam nach einer Afghanistan-Reise SCHOLARS im Sommer 1981 zustande", so steht es in den BND-Akten. "Seither wird SCHOLAR (…) als Gelegenheitsquelle genutzt."
Die Kontaktpersonen Scholl-Latours beim BND waren zwei Mitarbeiter mit den fiktiven Arbeitsnamen "Sallinger und Tebs". Dabei handelte es sich um den damaligen Sachgebietsleiter und den Führungsstellenleiter des Dienstes für die Region Naher und Mittlerer Osten, zuständig unter anderem für Operationen in Afghanistan. Beide Männer sind mittlerweile verstorben. "Sallinger" war laut Akten der Verbindungsführer von Scholl-Latour. Mehrfach traf er den Journalisten, unter anderem in dessen Wohnung in Rhöndorf, südlich von Bonn.
Treffen mit BND-Präsidenten gewünscht
Nach der Afghanistan-Reise soll Scholl-Latour dem BND angeboten haben, die geplante Dokumentation vorab zu zeigen. Das zumindest geht aus einem Vermerk des BND-Mannes "Sallinger" aus dem Juli 1981 hervor: "Dr. SCHOLL-L. sagte eine Vorführung vor dem für September 1981 geplanten Sendetermin zu. Er bat ferner darum, diesen Kontakt zu ihm fortzusetzen. Außerdem äußerte Dr. SCHOLL-L. den Wunsch, den Präsidenten des BND (…) zu treffen."
An anderer Stelle heißt es in den Unterlagen im Bezug zur Afghanistan-Doku des ZDF, Scholl-Latour habe bei einem Gespräch erneut betont, dass er "einem unserer Vertreter gestatte, bei der ersten Visionage anwesend zu sein (…) Dazu sei erforderlich, daß unser Mann entweder ins Studio BONN oder PARIS kommt. WIESBADEN scheide aus, da es dort zuviele 'Neugierige' gäbe. (…) Weiterhin sagte Dr. Sch.-L. zu, daß er bereit wäre, Kopien des Filmmaterials zur Verfügung zu stellen, die Kosten müßten allerdings von uns getragen werden."

Nach seiner Afghanistan-Reise soll Scholl-Latour gegenüber dem BND auch einen niederländischen Dokumentarfilmer und Fotojournalisten erwähnt haben, der vor Ort mit einer islamistischen Rebellengruppe unterwegs gewesen sein soll. In Pullach kannte man den besagten Niederländer bereits. "Wir warnen dringend vor jeglicher Kontaktaufnahme", notierte BND-Mitarbeiter "Sallinger" intern. "Wir haben ihn 1980 wegen Nachrichtenschwindels und versuchten Betruges abgeschaltet. Ich halte ihn für den größten Spinner der Region."
Gefallen für den BND
Neben Informationen zu seinen Reisen und sogenannten "Personenhinweisen" soll Scholl-Latour dem BND auch schon mal einen Gefallen getan haben: So heißt es in den Akten beispielsweise, dass er in den 1980er-Jahren darauf vorbereitet worden sei, bei einer anstehenden Reise nach Beirut eine Quelle des BND zu treffen, die der Dienst damals offenbar aufgrund der Bürgerkriegssituation nicht treffen konnte.
Im Juli 1986 bekam Peter Scholl-Latour, damals Herausgeber des Stern, wohl in seinem Hamburger Büro Besuch von einem BND-Mitarbeiter aus dem Bereich der DDR-Aufklärung. Anschließend fertigte der Geheimdienstler einen Vermerk an. Darin heißt es, Scholl-Latour sei weiter im Vorstand es Deutschen Roten Kreuzes (DRK) tätig und sei darüber informiert worden, dass der DDR angeboten worden sei, eine wichtige Position für das Internationale Rote Kreuz (ICRC) in Ostafrika zu besetzen.
"Er wird sich über seine Verbindungen (…) bemühen festzustellen, ob das RK der DDR den Posten besetzte und wer dort tätig ist", notierte der BND-Mitarbeiter im Nachgang. "Er rechnet damit, daß er den Auftrag in sechs bis acht Wochen erfüllt hat, da er die Ermittlungen persönlich führen will und dazu nach GENF reisen muß."
Pressekodex: Informantenschutz wahren
Die Witwe von Peter Scholl-Latour wollte sich auf Anfrage nicht äußern. Eine Sprecherin des ZDF erklärte auf Anfrage: ."Das ZDF hat keine Kenntnis über die von Ihnen geschilderten angeblichen Vorgänge aus den 80er-Jahren." Der Sender orientiere sich in seiner Arbeit an den eigenen publizistischen Leitlinien sowie am Pressekodex des Deutschen Presserats und wahre den Informanten- und Quellenschutz. "Daher wird auch gegenüber Ermittlungsbehörden und Nachrichtendiensten grundsätzlich keine Auskunft zu den im Rahmen einer Recherche/einer Berichterstattung erlangten Informationen erteilt."
Nach dem Pressekodex des Deutschen Presserates sind "nachrichtendienstliche Tätigkeiten von Journalisten und Verlegern mit den Pflichten aus dem Berufsgeheimnis und dem Ansehen der Presse nicht vereinbar".
Autoren jahrelang überwacht
Dass der BND Journalisten auch als Quellen und Zuträger eingesetzt und oftmals auch bezahlt hat, ist seit Jahren bekannt. Insbesondere im Kalten Krieg wurden solche "Pressesonderverbindungen" geführt. Anfang der 2000er-Jahre wurde dann bekannt, dass der BND sogar jahrelang Journalisten und Buchautoren in Deutschland überwacht hatte, um deren Quellen ausfindig zu machen. Dies hatte eine parlamentarische Untersuchung zur Folge.
Der ehemalige Bundesrichter Gerhard Schäfer überprüfte die Vorwürfe gegen den Geheimdienst und legte im Frühjahr 2006 schließlich einen mehr als 170 Seiten umfassenden Bericht vor, in dem dargelegt wurde, dass im BND teilweise entgegen geltender Dienstvorschriften journalistische Quellen geführt wurden.
Eine Sprecherin des BND teilte auf Nachfrage mit, im Nachgang des sogenannten "Schäfer-Berichts" seien innerhalb der Behörde "die Vorgaben der nachrichtendienstlichen Nutzung von Journalisten" geregelt worden. "Diese Vorgaben regeln, unter welchen Voraussetzungen der BND mit Journalisten zusammenarbeiten darf und welche Stelle im BND über die Zusammenarbeit mit Journalistinnen entscheidet."
Mehr zum Thema sehen Sie heute in der Sendung ttt um 23.05 Uhr im Ersten und in der ARD-Mediathek.