
"Falter"-Chef im Interview "Sektenhafte" Treueschwüre an Kurz
Trotz Razzia und Korruptionsvorwürfen lehnt Österreichs Kanzler Kurz einen Rücktritt weiter ab. "Falter"-Chef Klenk meint, das liegt zum einen am Personenkult in der ÖVP und zum anderen an der besonderen Rolle der Medien im Politikzirkus des Landes.
tagesschau.de: Herr Klenk, die Vorwürfe gegen Sebastian Kurz und sein Umfeld wirken erdrückend. Warum ist er noch im Amt?
Florian Klenk: Er versucht, die Vorwürfe an seiner Popularität abgleiten zu lassen. Er pocht auf die Unschuldsvermutung. Das kann er auch, denn es obliegt natürlich den Gerichten, über Schuld und Unschuld zu entscheiden. Aber wenn er sagt, er habe damals als Außenminister nicht gewusst, was seine Vertrauten da hinter seinem Rücken treiben, er habe die handelnden Personen teilweise "kaum gekannt", dann ist das wenig glaubhaft.
Die Fakten sind, dass einer seiner engsten Mitarbeiter, Thomas Schmid, sich als Generalsekretär im Finanzministerium darum gekümmert hat, dass Kurz in den Medien gut wegkommt - und zwar unter massivem Einsatz von Steuermitteln, wie wir jetzt wissen.

tagesschau.de: Woher wissen Sie das so genau? Wieso liegen die Akten der Staatsanwaltschaft bei den großen Medien sozusagen auf dem Tisch?
Klenk: Das liegt an einer Besonderheit der österreichischen Strafprozessordnung, die sich von Deutschland unterscheidet: Hier erhalten Beschuldigte und ihre Anwälte in der Regel schon im Ermittlungsverfahren umfassende Akteneinsicht - und vor allem dürfen Medien straffrei aus diesen Akten zitieren. Letztlich ist es dann häufig so, dass die Anwälte der Beschuldigten selbst ein Interesse an der Weitergabe kompletter Akten haben, weil sie fürchten, dass die Inhalte ansonsten von anderen nur selektiv zu Lasten ihrer Mandanten verbreitet werden.
Aktuell ist es so, dass zunächst der Durchsuchungsbeschluss im Umfang von circa 100 Seiten öffentlich wurde, mittlerweile ist die Akteneinsicht von der Staatsanwaltschaft auf etwa 500 Seiten erweitert worden. Die einzige Partei, die diese Art der Akteneinsicht zuletzt ändern wollte, unter anderem mit Verweis auf Deutschland, war interessanterweise die ÖVP.
"Umbau der ÖVP zum Kurz-Wahlverein"
tagesschau.de: Wieso hat Kurz trotz aller Skandale so eine Hausmacht bei seiner Partei?
Klenk: Weil er die ÖVP zu seiner Partei gemacht hat. Ich möchte ihn keinesfalls mit Donald Trump vergleichen, aber der Umbau der ÖVP von einer bürgerlich-konservativen Partei hin zu einem Sebastian-Kurz-Wahlverein, das hat schon gewisse Parallelen. Kurz hat sich den Durchgriff auf die Partei gesichert, hat die Gremien nach seinem Gusto besetzt, er hat die Kandidatenlisten zusammenstellen lassen. Seine Popularität überstrahlt die der Partei bei weitem.
Das merken Sie auch an den E-Mails, die wir jetzt lesen können: So bezeichnet sich sein Vertrauter Thomas Schmid als Prätorianer, also als römischen Leibgardisten des Kanzlers. Sein Pressesprecher Johannes Frischmann sagt, er sei wie der Orchesterchef auf der Titanic und spiele bis zum Untergang für Kurz. Die Treueschwüre dieser jungen Männer, die Kurz ihre politischen Karrieren verdanken, haben zum Teil schon etwas Sektenhaftes.
Folglich ist das auch nicht mehr die honorige Partei eines Wolfgang Schüssel, die Respekt vor den Institutionen hat. Kurz und seine Vertrauten greifen permanent sämtliche demokratische Kontrollinstanzen an: Medien werden entweder mit Anzeigen gefügig gemacht - oder man streicht ihnen bei kritischer Berichterstattung das Anzeigenbudget. Wer sich nicht davon abhängig macht, wird beschimpft. Die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse und Kontrollgremien, werden als eine Art tölpelhaftes Bauerntheater verunglimpft. Und die ermittelnde Wiener Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) bezeichnen Parteileute als "linke Zelle", das wäre in Deutschland undenkbar.
"Öffentlichkeit bezahlt für eigene Manipulation"
tagesschau.de: Ebenfalls undenkbar erscheint von Deutschland aus betrachtet der finanzielle Einfluss, den die Regierung mithilfe von Anzeigenetats direkt auf die Medien ausübt. Können Sie das erklären?
Klenk: Die österreichische Medienlandschaft ist in dieser Hinsicht völlig anders als die deutsche. Es gab hier nie die starken Verlegerpersönlichkeiten und ihre Häuser wie Gerd Bucerius, Rudolf Augstein oder auch Axel Springer. Stattdessen gibt es einen sehr einflussreichen Boulevard, der aber schon seit Jahrzehnten auch von Anzeigenetats der Politik lebt. Das ist nicht neu und war auch schon unter konservativen und sozialdemokratischen Regierungen so, auch ein Jörg Haider war schon ein Meister darin, sich diesen Einfluss zu sichern.
Neu ist aber die direkte Käuflichkeit und die Offenheit, mit der sich darüber ausgetauscht wird: Nicht nur, dass man Medien mit wohlwollender Berichterstattung eine Anzeigen-Karotte hinhält sozusagen, sondern dass man auch den Stock rausholt und komplette Etats streicht, wenn kritisch berichtet wird.
Hinzu kommt, dass man fingierte Umfragen zugunsten von Kurz und der ÖVP im Boulevard platzierte und gleichzeitig den Steuerzahler dafür bezahlen ließ, indem diese "Studien" über das Finanzministerium abgerechnet wurde. Das heißt, die Öffentlichkeit hat für ihre eigene Manipulation bezahlt. Im Grunde ist das genau das, wovon HC Strache im Ibiza-Video nur geträumt hat. Sebastian Kurz und die ÖVP haben es gemacht.
"Medien verpanschten ihren Journalismus"
tagesschau.de: Welche Folgen wird das haben?
Klenk: Ich hoffe, dass das ein Wendepunkt in der Medienfinanzierung in Österreich wird. Ich vergleiche das mit dem Weinskandal der 1980er-Jahre. Damals kam heraus, dass die Winzer den Wein mit Glykol verpanschten, um ihn süßer und aromatischer zu machen. Das führte zu einem massiven Vertrauensverlust und zu einer riesigen Absatzkrise, in der Folge aber auch zu einer viel ökologischeren und hochwertigeren Weinwirtschaft. Und nun kommt heraus, dass große Medien in Österreich sozusagen ihren Journalismus verpanschen, indem sie auf Bestellung und Bezahlung der Politik Inhalte verbreiten. Das wird hoffentlich zu einer ähnlichen Veränderung führen, bei der es aber entscheidend auf eine kritische Öffentlichkeit ankommt.
tagesschau.de: Und wie geht es konkret politisch weiter?
Klenk: Das weiß niemand. Die Grünen loten im Hintergrund eine Mehrheit ohne Sebastian Kurz aus, aber alle Optionen haben große Probleme: Ein Minderheitenkabinett müsste von der FPÖ unterstützt werden, also von Herbert Kickl, dem größten Corona-Maßnahmenkritiker und Impfgegner im Land. Allerdings hat er aufgrund der Ibiza-Affäre noch eine Rechnung mit Kurz offen, weil der ihm damals das Misstrauen ausgesprochen hat, obwohl gegen Kickl nie strafrechtlich ermittelt wurde.
Eine Mehrheit mit der ÖVP, aber ohne Kurz erscheint wenig wahrscheinlich, einer sogenannten Expertenregierung würde die politische Legitimation fehlen. Und bei Neuwahlen haben alle Parteien das Problem, dass sie nicht wissen, ob die aktuellen Ermittlungen Kurz bei den Wählerinnen und Wählern wirklich nachhaltig beschädigen. Bei Strache war das so, aber bei Kurz ist das viel unklarer.
Das Gespräch führte Andrej Reisin, tagesschau.de