
Nach Gletschersturz in der Schweiz Talbewohner bangen wegen Wassermassen
In der Schweiz sind nach einem Gletschersturz Einsätze im Katastrophengebiet aus Sicherheitsgründen immer noch nicht möglich. Der Schuttkegel dürfte die riesigen aufgestauten Wassermassen nicht mehr lange halten können.
Das Bergdorf Blatten ist verschwunden. Nur ganz vereinzelt sind auf Drohnenbildern noch ein paar Dächer zu erkennen - inmitten einer von Geröll, Schlamm und Wasser verwüsteten Landschaft. Wie angespannt und unsicher die Lage im Schweizer Lötschental ist, das ist bei fast jedem Wort zu spüren, als die Verantwortlichen von Behörden und Gemeinden am Donnerstagabend die Medien informieren.
"Die abgestürzte Masse aus Eis und Geröll ist quasi unberechenbar. Wir sind weitgehend zur Observation verdammt, machtlos, pure Ohnmacht", sagt Valentin Werlen, der Bürgermeister von Ferden - dem Nachbarort von Blatten.
Dessen Bürgermeister ließ sich entschuldigen. Er muss sich um die etwa 300 Frauen, Männer und Kinder seiner Gemeinde kümmern: Menschen, die auf einen Schlag alles verloren haben. "Das Zuhause zu verlieren ist mehr als ein materieller Verlust, mehr als zermürbte Mauern und zerschmetterte Dächer. Das Ereignis ist erst bewältigt, wenn aufgeräumt ist."
Einsätze sind derzeit nicht möglich
Doch an Aufräumen ist noch nicht zu denken. Einsätze im Katastrophengebiet sind aus Sicherheitsgründen derzeit nicht möglich, sagt Christian Studer von der Walliser Naturgefahren-Behörde. Bei Erkundungsflügen am Tag nach dem großen Berg- und Gletschersturz habe sich gezeigt, dass weiterhin vom Gebiet Kleines Nesthorn-Birchgletscher Material herunterstürzen kann.
"Dort reden wir von mehreren hunderttausend Kubikmetern. Was sich auch gezeigt hat, ist, dass vom Gegenhang Blockschläge, Rutschungen, Hangmuren abgehen können. Also auch dort ist eine Instabilität vorhanden. Weiter haben wir den Schuttkegel mit diesem Gemisch aus Eisblöcken, Geröll", so Studer. Dort stehe man vor der Herausforderung, wie stabil diese Masse ist. "Dort können sich Hohlräume bilden, die sich mit Wasser füllen."

Pegelstand steigt
Und vom Wasser droht auch eine neue Gefahr. Die Geröllmassen, die das Gelände auf einer Länge von zwei Kilometern und Dutzende Meter hoch in eine Mondlandschaft verwandelt haben, haben auch eine Art Staudamm im Fluss Lonza gebildet. Ein immer größer werdender See ist entstanden - mit stetig steigendem Pegelstand.
"Wir gehen davon aus, dass dort in den frühen Morgenstunden irgendwann der See voll ist und zum Überlaufen kommt. Unser Hauptziel aktuell ist, eben jetzt diesen Prozess möglichst gut zu antizipieren und die Sicherheit für die Bevölkerung unterhalb möglichst gut sicherzustellen", sagt Christian Studer.
Menschen in Flussnähe wurden in Sicherheit gebracht
Schlimmstenfalls könnte sich das Wasser in eine Flutwelle verwandeln oder mit dem angehäuften Schutt eine neue Geröll- und Schlammlawine auslösen. Die Behörden haben deshalb auch in den weiter unten im Tal liegenden Nachbarorten von Blatten eine Teilevakuierung angeordnet. Menschen, die in Flussnähe wohnen, wurden in Sicherheit gebracht.
Dieses Worst-Case-Szenario sei jedoch wenig wahrscheinlich, so Stéphane Ganser, Staatsrat des Kantons Wallis. "Dass der See plötzlich und brutal diese enorme Masse an Geröll duchbricht, ist wenig wahrscheinlich", sagt er. "Aber seit Mittwoch möge man das nicht mehr so gern sagen. Man wisse ja jetzt, dass aus wenig wahrscheinlich schnell wahrscheinlich werden kann."
Schweizer Armee wartet auf Einsatz
Wahrscheinlicher jedenfalls sei es, dass der See sich nicht in einer zerstörerischen Flutwelle sondern schrittweise entleeren wird, sagen die Experten. Die Hoffnung ist, dass nun bald mit Aufräum- und Sicherungsarbeiten begonnen werden kann. Wegen der gefährlichen Lage mussten die Einsatzkräfte auch die Suche nach einem weiterhin vermissten Mann vorübergehend unterbrechen.
Die Schweizer Armee sei mit Katastrophenhilfe-Einheiten für den Einsatz parat, sagte ein Militärsprecher am Abend. Die Frage ist nur, wann es losgehen kann: "Die Schweizer Armee ist bereit, rasch und wirkungsvoll zu helfen, sobald es die Lage zulässt."