
Bayern Versorgung psychisch Kranker – zu früh entlassen?
Nur wenige psychisch kranke Menschen werden gewalttätig. Vor ihnen will die Politik die Allgemeinheit besser schützen. Experten warnen: Ohne langfristige Versorgung steige das Risiko für Rückfälle – und für Gewalttaten.
Manche Patienten sind nicht freiwillig hier. Sie wurden von der Polizei gebracht, als sie in einer psychischen Ausnahmesituation waren, eine Gefahr für sich selbst oder andere. In der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU werden sie dann untergebracht und behandelt – auch gegen ihren Willen. Allerdings: Oft muss die Behandlung zu früh beendet werden, sagt Prof. Kolja Schiltz, Leiter der Abteilung für Forensische Psychiatrie. Die Konsequenz: Die Erkrankung könne sich erneut verschlechtern und dann "Rechtsbruch passieren – bis hin zu Gewalttaten".
Die meisten psychisch kranken Menschen sind keine Gefahr
Die allermeisten psychisch kranken Menschen sind laut Experten ungefährlich. Die Bundespsychotherapeutenkammer hat ausgerechnet, wie groß das Risiko war, durch die Gewalttat eines psychisch kranken Menschen zu sterben. Ergebnis [externer Link]: Es lag im Jahr 2019 bei 1:1,5 Millionen. Zum Vergleich: Bei anderen Gewaltverbrechen lag es bei 1:160.000.
Die Psychotherapeuten sagen allerdings auch: Das Risiko, eine Gewalttat zu begehen, sei bei einzelnen psychischen Erkrankungen höher – etwa bei psychotischen und bipolaren Störungen, oder bei Alkohol- und Drogenmissbrauch.
Sozialministerium hat Arbeitsgruppe eingerichtet
Das bayerische Sozialministerium hat deswegen im Februar eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Sie soll Wege finden, wie die Gefahr, die von dieser "kleinen Gruppe ausgeht", verringert werden kann. Die Themen laut Ministerium: "versorgungs-, aber auch ordnungspolitische Instrumente" sowie die "Vernetzung der verschiedenen Systeme". Außerdem werde geprüft, inwieweit "Informationsflüsse mit den Sicherheitsbehörden verbessert werden müssen".
CSU-Fraktionschef: Untersuchungen auch gegen den Willen
Im Januar hatte CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek gefordert, dass Personen, die andere gefährden könnten, "schneller und unter leichteren Voraussetzungen zu einer fachärztlichen Untersuchung vorgeladen oder notfalls auch gegen ihren Willen einer solchen Untersuchung zugeführt werden können".
Das "Bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz" regelt den Umgang mit psychisch kranken Menschen. Demnach sollen Zwangseinweisungen vermieden werden. Nur, wer "sich selbst, Rechtsgüter anderer oder das Allgemeinwohl erheblich gefährdet", kann gegen seinen Willen untergebracht werden. "Öffentlich-rechtliche Unterbringung" nennt sich das. Voraussetzung ist, dass es keinen milderen Weg gibt, wie etwa einen Krisendienst.
Immer mehr "öffentlich-rechtliche Unterbringungen"
Daten der Aufsichtsbehörde, des Zentrums Bayern Familie und Soziales (ZBFS), zeigen: In den vergangenen Jahren ist die Fallzahl der "öffentlich-rechtlichen Unterbringungen" gestiegen. Im Jahr 2023 wurden 19.277 Fälle der sofortigen vorläufigen Unterbringung gemeldet. 2022 waren es 17.405 Fälle. 2020: 15.866.
Der Leiter der Abteilung für Forensische Psychiatrie, Prof. Schiltz, sieht dafür zwei Gründe. Zum einen gebe es seit 2015 einen gewissen "Migrationsdruck", da Migranten ein höheres Risiko hätten, eine Psychose zu entwickeln. Zum anderen seien langfristige Behandlungen nicht mehr so üblich.
Zu wenig langfristige Behandlungen
Laut Gesetz ist die öffentlich-rechtliche Unterbringung nur solange zulässig, "bis ihr Zweck erreicht ist". Das kann einerseits sein, die Person zu heilen, oder andererseits, ihren Zustand so weit zu stabilisieren, dass von ihr keine Gefährdung mehr ausgeht.
In der Praxis, so Schiltz, würden Gerichte oft keine längere Behandlung anordnen. Die Konsequenz: Patienten würden entlassen, sobald sie eine Besserung zeigten – die Behandlung ist damit unterbrochen.
Ähnlich äußert sich auch Prof. Josef Bäuml, ehemaliger Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Rechts der Isar. Sehr viele Menschen würden nicht mehr konsequent behandelt. "Viele dieser Patienten mit nicht ausreichender Krankheitseinsicht werden oft viel zu früh entlassen, so dass der nächste Rückfall schon vorprogrammiert ist."
Wie eine Gefährdung der Allgemeinheit verhindern?
Auch deswegen hatte CSU-Fraktionschef Holetschek im Januar gefordert, den Datenaustausch zwischen Behörden zu verbessern. Aktuell müssen die Einrichtungen die Polizei, die Kreisverwaltungsbehörden und gegebenenfalls die Bewährungshilfe informieren, wenn sie eine psychisch kranke Person aus der öffentlich-rechtlichen Unterbringung entlassen und diese zuvor eine Gefahr für andere war.
In der Praxis fehlt der Polizei allerdings häufig das Personal, diese Personen "präventiv zu überwachen", sagt Florian Leitner, der bayerische Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. Würden die "Verdachtsgründe" fehlen, gebe es dafür zudem keine rechtliche Grundlage.
Psychiater warnen vor Stigmatisierung
Auch die Psychiater Kolja Schiltz und Josef Bäuml sehen ein Register psychisch kranker Gewalttäter oder mehr Daten für Sicherheitsbehörden kritisch. Damit erreiche man lediglich, dass sich weniger Personen behandeln ließen und das Risiko stiege, dass diese Personen Gewaltkriminalität ausübten.
Bäuml sagt: "Wenn die Patienten in der Klinik ausreichend lange behandelt werden, dann werden sie später nicht auffällig."
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Quelle: BR24 im Radio 28.05.2025 - 09:17 Uhr