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Bremen Kann Einsamkeit krank machen? Das sagen Bremer Experten

Stand: 25.05.2025 06:00 Uhr

Viele Menschen in Bremen sind einsam – und das kann gravierende Auswirkungen haben. Ein Gespräch mit zwei Experten darüber, wie Menschen mit diesem Gefühl umgehen sollten.

Viele Menschen in Bremen sind einsam – und das kann gravierende Auswirkungen haben. Ein Gespräch mit zwei Experten darüber, wie Menschen mit diesem Gefühl umgehen sollten.

Einsamkeit erhöht das Risiko, krank zu werden – körperlich oder mental. Das haben Forschende der University of Michigan in den USA herausgefunden. Einsame Menschen leiden zum Beispiel eher an Schlafmangel und erkranken häufiger an Herzinfarkten, Schlaganfällen, Krebs oder Demenz. Auch Panikattacken, Angstzustände und Depressionen können Folgen von ständiger Einsamkeit sein.

Was ist Einsamkeit?
Einsamkeit ist ein individueller Zustand, der sich für Betroffene schmerzhaft anfühlen kann. Das Kompetenznetz Einsamkeit definiert Einsamkeit als wahrgenommene Abweichung zwischen gewünschten und tatsächlichen sozialen Beziehungen. In anderen Worten: Betroffene wünschen sich eine andere Qualität von Beziehungen.

Das Forschungsteam nennt vor allem das Stresshormon Cortisol als Ursache. Wird das über eine längere Zeit ausgeschüttet, können Krankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck entstehen. Auch das Immunsystem kann schwächer werden.

Die Professorin für Gesundheitspsychologie, Sonia Lippke, forscht zum Thema Einsamkeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft Hamburg und der Constructor University Bremen. Andreas Schäfer-Hockmann arbeitet im Bremer Nachtcafé – einem offenen Treff, an dem sich einsame Menschen austauschen können.

Einsamkeit ist ein Trigger wie zum Beispiel Hunger.
(Sonia Lippke, Professorin für Gesundheitsförderung und Prävention)
Sehr zurückhaltende Menschen können mit Einsamkeit zu kämpfen haben, aber auch Menschen, die besonders aus sich herausgehen.
(Andreas Schäfer-Hockmann, Teamleiter Hilfsnetzwerk "Nachtwerk")

Was ist der Unterschied zwischen allein und einsam sein?

Lippke: Alleinsein ist ein Zustand, in dem man einfach ohne Menschen ist, sich aber vollkommen gut fühlen kann. Einsamkeit ist durch ein subjektives Leiden gekennzeichnet. Das heißt, man kann sich auch unter anderen Menschen sehr einsam fühlen.

Das ist immer definiert durch die Diskrepanz aus dem, was man sich wünscht und dem, was man erlebt. Und da kann es eben auch zu Diskrepanzen kommen, die für den einen ganz anders aussehen als für den anderen.

Wer ist besonders anfällig für Einsamkeit?

Schäfer-Hockmann: Sowohl sehr zurückhaltende Menschen haben mit Einsamkeit zu kämpfen, als auch Menschen, die besonders aus sich herausgehen. Und Menschen, die unter bestimmten Persönlichkeitsstörungen leiden, haben es durch ihre Charakterstruktur nicht leicht, Beziehungen mit anderen Menschen aufzubauen und aufrechtzuerhalten.

Was macht Einsamkeit mit dem Gehirn?

Lippke: Wir wissen mittlerweile, dass Einsamkeit im Gehirn in ähnlichen Regionen verarbeitet wird wie Schmerz. Und genauso wie Schmerz kann das natürlich zu Hirnveränderungen führen. Jemand, der sehr, sehr viel und über lange Zeit einsam ist, kann da auch Veränderungen im physiologischen Sinne entwickeln.

Aber im Endeffekt ist das kein Grund zu sagen: So, das ist jetzt hier im Gehirn verändert, deswegen geht das nicht mehr anders. Nein, es geht immer noch anders.

Wie beeinflusst die Kindheit das Risiko für Einsamkeit im Erwachsenenalter?

Lippke: Da sehen wir deutliche Zusammenhänge. Menschen, die in ihrer Kindheit schon eine sehr sichere Bindung zu Bezugspersonen erlebt und aufgebaut haben, haben eher das Gefühl der sicheren Bindung bis hin ins Alter. Diese Menschen ruhen mehr in sich selbst und können auch besser vertrauen. Wenn sie dann mal schlechte Erlebnisse oder Erfahrungen haben, dann können sie damit resilienter umgehen.

Dagegen haben Menschen, die schon in ihrer Kindheit Ablehnung oder sogar Unterdrückung und Missbrauch erleben mussten, auch später in ihrem Leben immer wieder Schwierigkeiten. Das Gefühl der Einsamkeit kann immer wiederkommen. Das kann dann auch damit zusammenhängen, was aus der Kindheit übrig geblieben ist oder dass ein Trauma nie richtig aufgearbeitet wurde.

Welche Rolle spielt meine Umgebung, wenn ich Einsamkeit überwinden will?

Schäfer-Hockmann: Ich stelle fest: Autofreie, begrünte und mit vielen Sitzgelegenheiten ausgestattete Innenstädte haben eine Wirkung auf Menschen. Die kommen dann nämlich gerne dahin und nicht nur, wenn ein bestimmter Konsumartikel gebraucht wird.
Das heißt: Menschen, die isoliert in ihren Wohnungen weilen, gehen raus und treffen auf andere Menschen. Dazu müssen sie gar nicht das Bedürfnis haben, etwas kaufen zu müssen.

Eine Großstadt wie Bremen sollte offene, niedrigschwellige Angebote schaffen, die Versorgung von Menschen in schwierigen Lebenslagen unterstützt – so, dass man da gerne hingeht.

Welche kulturellen Unterschiede gibt es im Umgang mit Einsamkeit?

Lippke: Erstmal ist es so, dass Menschen grundsätzlich individuell mit dem Gefühl der Einsamkeit umgehen – und auch als Gesellschaft. Wir sehen, dass es Länder wie Großbritannien gibt, die schon ein Einsamkeitsministerium eingerichtet haben. In Japan, wo mehr Wert auf Gemeinschaft gelegt wird, ist das ähnlich.

Und dann gibt es Länder wie Deutschland, die Einsamkeit eher als Querschnittsthema sehen, zum Beispiel in den Bereichen Gesundheit, Familie, Altern oder Arbeit.

Was können wir alle gegen Einsamkeit tun?

Schäfer-Hockmann: Es ist wichtig, die gesellschaftlichen Ursachen für Einsamkeit zu erkunden: Was führt vermehrt zu dem Gefühl von Einsamkeit und welche Menschen betrifft es besonders? Das Thema muss in die Öffentlichkeit. Auch private Unternehmen sind gefragt, wenn sie die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden lange aufrecht erhalten können.

Wir wissen: Einsamkeit macht krank. Deshalb sind auch Angebote für Kinder und Jugendliche wichtig. Zum Beispiel im Bildungsbereich das Thema psychische Gesundheit im Unterricht. Oder auch für unsere heutige Zeit angemessene Angebote für junge Menschen.

Wir alle müssen die Hemmschwelle für die Menschen senken, die Schwierigkeiten haben, selbst den Schritt aus der Einsamkeit zu finden. Das kostet alles Geld und da sind die politischen Entscheider gefordert, entsprechende Systeme der Finanzierung zu finden und umzusetzen.

Was steckt hinter diesem Projekt?
Das Thema "Einsamkeit" wurde im Rahmen des Abschlussprojektes des Radio-Bremen-Volontärsjahrgangs 2023-2025 bearbeitet. Die Redaktion lag bei: Finný Anton, Aqib Butt, Eléni Christoffers, Nina Feilen, Elena Fortmann, Nils Fricke, Melissa Kunkel, Pamina Rosenthal und Johann Weckenbrock.

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Dieses Thema im Programm:
buten un binnen, 25. Mai 2025, 19:30 Uhr