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Nordrhein-Westfalen AfD-Gutachten: So viel NRW steckt in dem Papier

Stand: 20.05.2025 07:00 Uhr

Mit einem Gutachten begründete der Verfassungsschutz die Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch". Eine Analyse aller dort genannten Namen zeigt: Auch Politiker und Politikerinnen aus NRW spielen eine Rolle.

Von Christoph Ullrich und Julian Budjan (Grafik)

1.108 Seiten umfasst das Gutachten, das zeigen soll, dass die AfD eine "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" sei und man sie deshalb beobachten müsse. Auf dieser Grundlage traf der Bundes-Verfassungsschutz seine Entscheidung, die Ende April verkündet wurde und nun Gegenstand eines langen, juristischen Streits sein wird.

Vor einigen Tagen hat das Magazin "Cicero" das eigentlich als geheim eingestufte Gutachten gänzlich online gestellt. Der WDR hat ausgewertet, in welchem Umfang auch Funktionäre aus NRW ihren Teil zur Einschätzung beitragen. Das ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil die AfD in NRW vom Landesverfassungsschutz bisher nicht beobachtet wird. Einzig die ehemalige Jugend-Organisation ist von der Behörde in Düsseldorf als gesichert rechtsextremistisch eingestuft.

Bundes-Verfassungsschutz bestätigt Einschätzung der Landesbehörde

Der Bundes-Verfassungsschutz bestätigt ein Stück weit den bisherigen Eindruck aus NRW, der Landesverband sei in Summe weniger auffällig als die Restpartei. Die NRW-AfD sei "in vergleichsweise geringerem Umfang mit verfassungsschutzrelevanten Äußerungen aufgefallen", heißt es auf einer der Seiten. Auch der amtierende Landeschef Martin Vincentz wird nur an einer Stelle erwähnt, weil ein Social-Media-Post von ihm geteilt wurde und er mit einer Wertung angesprochen wurde.

Martin Vincentz (AfD) Fraktionsvorsitzender NRW

Martin Vincentz

Auch einer seiner Vertrauten, der Landtagsabgeordnete Christian Loose, wird eher entlastend für den Verband angeführt. Auf dem Bundesparteitag in Riesa, so notiert es der Bundes-Verfassungsschutz, habe er sich gegen ein weitreichendes Kopftuchverbot ausgesprochen. Das Verbot - so wird Loose zitiert - sei "viel zu weit drüber". Dennoch wurde die Passage, dass man ein Kopftuchverbot in öffentlichen Gebäuden und vor allem in Schulen fordere, ins Programm aufgenommen. Hinweise der Befürworter aus der AfD, dass solche Verbote in anderen Ländern schon bestehen würden, seien unzutreffend, schreibt der Bundes-Verfassungsschutz.

Mehr als 20 Personen aus NRW finden Erwähnung

Insgesamt werden jedoch mehr als 20 Personen aus NRW im Gutachten erwähnt. Dabei hat sich der Bundes-Verfassungsschutz hauptsächlich auf Funktionäre, Mandatsträger und Vorstände konzentriert. Von den AfD-Abgeordneten in Landtag, Bundestag und EU-Parlament sind viele im Bericht vertreten: 24 von 40 AfD-Mandatsträgern aus NRW werden namentlich genannt. Das zeigt eine Auswertung des Bayerischen Rundfunks:

Probleme bereiten könnten dem Landesverband die besonders belastenden Einträge. So sind es nicht nur die Gegner von Landeschef Martin Vincentz, die negativ auffallen. Auch Äußerungen von Leuten, die seinem Lager zugerechnet werden, wurden aufgenommen. Da ist zum Beispiel Uwe Detert, Beisitzer im NRW-Landesvorstand. Der Bericht greift einen Medienbericht der "Welt am Sonntag" auf, der von Deterts Aktivitäten in sozialen Netzwerken berichtet.

So veröffentlichte er ein Video in dem es heißt: "Durch 70 Jahre systematischer Gehirnwäsche glaubt heute die Masse, dass die BRD ein Staat ist." Nach WDR-Informationen führt der Fall bis heute zu heftigen Diskussionen zwischen den Lagern der NRW-Partei. Gegen Detert wurden keine weitreichenden Ordnungsmaßnahmen eingeleitet, anders als in möglicherweise vergleichbaren Fällen.

Matthias Helferich aus Dortmund mit den meisten Erwähnungen

Einer, den die NRW-AfD schon mehrfach rauswerfen wollte, führt die Liste der Erwähnungen an: Der Dortmunder Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich wird im Gutachten knapp 40-mal erwähnt. Dass er trotz laufendem Parteiausschlussverfahren weiterhin auf Wahllisten der AfD auftaucht und sogar in die Bundestagsfraktion aufgenommen wurde, zeige für die Verfassungsschützer, "dass die Co-Bundessprecherin und Co-Fraktionsvorsitzende Weidel verfassungsfeindlichen Positionen in der AfD nicht entgegentritt."

Der Dortmunder AfD-Politiker Matthias Helferich

Matthias Helferich

Rügen erfolgten lediglich nur, "wenn - wie im Falle Helferichs oder Leistens [eine ostdeutsche AfD-Funktionärin, Anm. d. Red.] - offen neonazistisches oder rassistisches Verhalten im Raum stand, das also über den geglätteten und weniger angreifbaren Diskurs der rechtsextremistischen Neuen Rechten erkennbar hinausging." Dazu werden zahlreiche Aussagen Helferichs als Belege für seine Haltungen angefügt, in denen er sich abwertend gegenüber Zuwanderern und vor allem Muslimen ausdrückt. Auch eine Nähe zu rechtsextremen Vorfeldorganisationen wie dem Verein "Ein Prozent" wird Helferich angelastet.

Der Ehrenvorsitzende Martin Renner

Doch es sind nicht nur die extremen Personen, die in dem Bericht ins Auge Fallen. Da ist zum Beispiel der Ehrenvorsitzende der NRW-AfD, Martin Renner. Als er Landeschef war, wurde er zeitweise der extremen Rechten in der Partei zugerechnet, allerdings hat er das immer dementiert. Auch wirkte er intern immer eher verbindend zwischen den Lagern. Seine dokumentierten Aussagen - vornehmlich auf Facebook oder dem ebenfalls als rechtsextrem eingestuften Onlinemedium PI-News - sprechen allerdings für die Gutachter eine andere Sprache.

Martin Renner spricht. Rechts und Links von ihm sind verschwommen zwei weitere Männer zu sehen.

Martin Renner äußert sich zum Ergebnis der Landtagswahl im Mai 2017.

So bekenne er sich zum Beispiel zu dem "Narrativ des Großen Austauschs", heißt es. Diese rechte Verschwörungstheorie spricht von einem, von den politischen Entscheidern gewollten, Austausch der weißen Bevölkerung durch Migranten und Migrantinnen. So schreibt Renner auf Facebook, es seien die "vaterlandslosen Sozen, die durch unsere reichlich ausgestatteten Sozialkassen all-überall 'Weltenbummler' - vornehmlich nicht-christlichen Glaubens - anlocken, um dadurch die autochthonen Eingeborenen kurz - bis mittelfristig zu ersetzen und um sich dadurch für spätere Zeiten ein genehmes Wählerkollektiv zu sichern."

Er habe zudem CDU-Politiker und -Politikerinnen mit Nationalsozialisten gleichgesetzt. Auch spricht er an verschiedenen Stellen Deutschland ab, eine Demokratie zu sein. So schreibt er - wiederum auf Facebook: "Denkst Du oppositionell, dann wirst Du ausspioniert. Von Bürokraten, die das Werkzeug der Diktatoren sind."

Renner könnte sich als ein echtes Problem für den Landesverband erweisen. Das AfD-Gründungsmitglied entwarf laut eigener Aussage das Parteilogo. Unter anderem dafür hatte ihn Landeschef Vincentz unlängst als Ehrenvorsitzenden der Partei vorgeschlagen, die Delegierten auf einem Parteitag in Marl waren dem Vorschlag gefolgt.

Die Landtagsabgeordneten Christian Blex, Enxhi Seli-Zachrias und Klaus Esser

Auch sonst finden auf den Seiten zahlreiche Persönlichkeiten aus der NRW-Landtagsfraktion Erwähnung, die sich abschätzig über Migration muslimischer Menschen äußern. So spricht Christian Blex von "Messerzuwanderung", Enxhi Seli-Zachrias von "importierten Messermördern" und Klaus Esser schreibt auf Telegram zur Kriminalität von Zuwanderern: "Würde zusätzlich noch differenziert, wie lange Täter mit deutschem Pass bereits die Staatsbürgerschaft besitzen, wäre das Bild wahrscheinlich noch eindringlicher."

AfD-Politiker Christian Blex

Christian Blex

Für die NRW-AfD könnten die angeführten Beispiele in dem Bericht daher Konsequenzen haben. In einem aktuellen Bericht an den NRW-Innenausschuss heißt es zwar, "die rechtlichen Voraussetzungen für eine öffentliche Bewertung des AfD-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen durch den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz liegen nicht vor." Allerdings heißt es weiter: "Das aktuelle Gutachten des BN zum Bundesverband der AfD liegt der Verfassungsschutzbehörde vor." Eventuell könnten die aktuellen Erkenntnisse also auch in NRW zu einer Neubewertung der Partei führen.

Über dieses Thema berichten wir am Donnerstag auch im WDR-Landesmagazin Westblick ab 17.04 Uhr.

Quellen:

  • Gutachten des Bundes-Verfassungsschutzes
  • Eigene Recherche
  • Datenauswertung von BR24 Data mit WDR Data