Karsten Wildberger, Minister für Digitales und Staatsmodernisierung

Nordrhein-Westfalen Deutschland wird digital - besser spät als nie! | MEINUNG

Stand: 16.05.2025 06:00 Uhr

Deutschland ist digitaler Flickenteppich: Viele lokale Projekte ohne einheitliche Strategie und Vorankommen. Mit dem neuen Digitalministerium wird das endlich besser, sagt unsere Kolumnistin. Muss ja!

Von Caro Wißing

Vor einigen Tagen habe ich mir die weltbeste Smart-City angeschaut. Es war wirklich beeindruckend wie digital, wie vernetzt, wie innovativ die da aufgestellt sind. Wo ich war? Nein, nicht Singapur, auch nicht Stuttgart. Ich war in Etteln. Ein 1.750 Seelen Dorf in Ostwestfalen. Den Titel hat Etteln kürzlich von einem internationalen Ingenieursverband verliehen bekommen.

Die Bewohner sind über eine eigene Dorf-App miteinander vernetzt. Braucht jemand eine Mitfahrgelegenheit in die nächste Stadt, ploppt das Gesuch in der App auf. Es gibt Rubriken für Veranstaltungen, Kleinanzeigen, Stellenausschreibungen. Überall in Etteln stehen Sensoren. Die messen das Verkehrsaufkommen oder auch die Regenmengen. Der Ort hat damit eine Überflutungssimulation erstellt und herausgefunden: Ein geplantes Baugebiet wäre bei starkem Regen gefährdet. Etteln gibt das Baugebiet deswegen jetzt auf.

Und selbst der Altkleidercontainer hat einen Füllstandsensor, damit niemand mit vollen Taschen vor einem Container steht, in den nichts mehr reinpasst. Ich würde mir sowas für Altglas-Container wünschen. Kommt bald, sagt mir Ettelns Ortsvorsteher.

Ein Dorf zeigt wie digitaler Alltag aussehen kann

Die Menschen in Etteln haben die Dorf-Digitalisierung in Eigeninitiative angestoßen, sie haben immer wieder neue Ideen und packen vieles selbst an. Jeder Haushalt hat einen Glasfaseranschluss, weil die Dorfgemeinschaft teils in Eigenarbeit die Gräben für die Verlegung ausgehoben hat. Im Fall eines Feuers in Etteln wird der Feuerwehr eine Drohne vorausgeschickt, die schonmal die Lage abklärt. Und das Rechenzentrum, das all die Daten aus Etteln verarbeitet, befindet sich im Innenraum eines großen Windrads, das auch gleich den Strom dafür liefert. Geht doch! Etteln macht in vielen Punkten vor, wie ich mir einen digitalen und smarten Alltag in der heutigen Zeit überall wünschen würde.

Etteln ist definitiv ein Leuchtturm, aber auch nicht allein. In vielen Kommunen in Deutschland sind mir kluge Vorreiter begegnet, die im Kleinen schon digitale Lösungen umsetzen, einfach mal machen. Die Coronazeit hat da auch in der Verwaltung wie ein Booster gewirkt und Digitalisierung beschleunigt. Die Stadt Düren hat zum Beispiel einen Ausweisautomaten eingeführt. Unabhängig von den Öffnungszeiten des Bürgerbüros können fertige Ausweisdokumente mit Fingerabdruck aus Schließfächern abgeholt werden - wie bei einer Packstation. Wir haben definitiv digitales Potential in Deutschland.

Jede Kommune kocht ihr eigenes digitales Süppchen

Wer aber irgendwo in Deutschland eine Eheschließung anmelden will, kann zwar auf das Online-Verwaltungsportal des Bundes gehen. Das aber führt dann oft wieder zur Webseite der eigenen Kommune und die Bezahlung der Anmeldegebühr muss dann teils persönlich vor Ort bei der jeweiligen Stadtkasse passieren. Zieht eine steuerpflichtige Person in ein anderes Bundesland werden die Steuerakten ausgedruckt, in einem dicken Umschlag ans neue Finanzamt verschickt und dort dann händisch in die neue Akte eingetippt, weil die Finanzamtssysteme der Länder nicht kompatibel sind. Irrsinn!

Jeder von uns könnte weitere Beispiele nennen. Daran zeigt sich, was der große Knackpunkt in Sachen Digitalisierung in Deutschland ist. Viele kleine digitale Projekte, die im Großen aber nicht zusammenpassen. Jede Kommune macht ihr eigenes Ding, jedes Bundesland reguliert für sich und dann kommt auch noch der Bund um die Ecke mit eigenen Ideen und Vorgaben. Kein Wunder, dass Deutschland im europäischen Vergleich nur auf Platz 21 bei digitalen Verwaltungsangeboten landet - weltweit sind wir noch weiter abgeschlagen.

Aber jetzt geht endlich was voran! Das meine ich nicht ironisch. Ich habe da wirklich Hoffnung. Denn mit der neuen Bundesregierung gibt es erstmals ein Digitalministerium. Keine Zweigstelle beim Kanzleramt, kein Nebengebiet im Verkehrsministerium. Nein, ein ganz eigenes Ministerium für Digitales. Und das hat sogar Kompetenzen aus anderen Ressorts übertragen bekommen. Bürokratieabbau war vorher zum Beispiel beim Justizministerium angesiedelt. Aber es ist ja total sinnvoll, das direkt mit Digitalisierung zusammenzudenken.

Experten, Bundesländer, Verbände: Digitalisierung wird jetzt vorankommen

Das Digitalministerium bekommt auch weitreichende finanzielle Entscheidungsgewalt. Es hat nicht nur ein eigenes Budget für Digitalisierungsvorhaben. Zukünftig werden auch andere Ministerien vorher anklopfen und sich Ausgaben absegnen lassen müssen, wenn sie IT-Projekte in der Bundesverwaltung umsetzen wollen. So soll verhindert werden, dass am Ende doch wieder jedes Ressort allein digital rumwurschtelt.

Der neue Minister, Karsten Wildberger, war vorher kein Berufspolitiker. Er hat als Topmanager einen Elektronikhandelskonzern geleitet. Heißt: Er bringt Praxiserfahrung mit - und hoffentlich auch ein frisches Mindset, das weit weg ist von der Haltung: "Das haben wir bisher immer so gemacht."

Portrait des Digital-Ministers Karsten Wildberger

Deutschlands erster Digital-Minister Karsten Wildberger

Mit dem Optimismus, dass damit die Digitalwende kommt, bin ich nicht allein. Auch unabhängige und kritische Organisationen wie Netzpolitik.org oder Experten aus der Technologiebranche gehen davon aus, dass jetzt wirklich was vorangeht. Der Digitalverband Bitkom sagt: "Deutschland kann sich in den nächsten vier Jahren sehr stark weiterentwickeln."

Und selbst die Verantwortlichen in den Bundesländern, die sonst so auf den Föderalismus und eigenständige Entscheidungen pochen, sind froh über die neue Stelle beim Bund. "Endlich," hieß es sogar diese Woche bei der Digitalministerkonferenz der Länder "werden jetzt Zuständigkeiten und Prozesse gebündelt."

Digital-Wonderland in Sichtweite

Ist ja auch bitter nötig. Digitale Infrastruktur, digitale Verwaltung - das sind nicht nur Nice-to-haves im Alltag, sondern Standortfaktoren, die für heimische und internationale Unternehmen bedeutend sind. Will Deutschland in puncto Wirtschaft wieder auf einen grünen Zweig kommen und dafür sorgen, dass nicht immer mehr Firmen und Arbeitsplätze abwandern, dann ist Digitalisierung ein Schlüsselfaktor. Künstliche Intelligenz in Verwaltung und Wirtschaft kommt als nächste Herausforderung noch hinzu. Wir werden vielleicht nicht Vorreiter werden, aber verpassen zumindest nicht den Anschluss an andere Länder.

Ich stell mir vor, dass wir in ein paar Jahren so funktionieren wie Malta, Frankreich, Lettland oder Luxemburg : 5G-Netz in jedem Winkel des Landes, Glasfaser an jeder Laterne. Behördenanträge stelle ich mit wenigen Klicks auf einem bundesweit einheitlichen Portal - von der KfZ-Zulassung bis zur Unternehmensgründung. Welche Stelle welche Zuständigkeit hat, ist dann nicht mehr mein Problem. Daten werden ausgetauscht zwischen Behörden, weil sie mit den gleichen Softwareprogrammen und Eingabeschnittstellen arbeiten. Und da das Personal auch nicht mehr mit Ausdrucken und Einscannen beschäftigt ist, werden Kapazitäten frei - alles geht viel schneller. Wäre das nicht herrlich?

Welche digitalen Lösungen gibt's bei euch in der Region und funktionieren die auch? Erzählt uns davon! In den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.