
Nordrhein-Westfalen Mehr Befugnisse und mehr Kontrolle für den NRW-Verfassungsschutz
Der NRW-Verfassungsschutz bekommt eine neue gesetzliche Grundlage. Ein Überblick über die wichtigsten Neuerungen im Gesetzentwurf.
Nachdem über viele Jahre am bestehenden NRW-Verfassungsschutz-Gesetz aus dem Jahr 1994 geschraubt wurde, soll nun ein neues Gesetz an den Start gehen. Die neue Weltlage mit ihren vielfältigen Bedrohungen - Terrorismus, Extremismus, Cyberattacken, Spionage, hybride Kriegsführungen - erfordert nach Auffassung der Landesregierung ein neues Gesetz. Der Entwurf dazu ist vom Landeskabinett verabschiedet worden und geht nun ins Parlament.
Mit dem neuen Gesetz erhält der Verfassungsschutz in NRW mehr Befugnisse und Rechtssicherheit, aber auch mehr Transparenz und Kontrolle. Es handele sich um eine "Kernsanierung", sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Montag in Düsseldorf. Ziel sei auch, "unabhängiger von der anderen Seite des Atlantiks" zu werden.
"Im Internet sind wir blind"
Bislang waren wichtige Hinweise auf extremistische Anschlagspläne in NRW sehr oft von ausländischen Geheimdiensten gekommen - auch aus den USA. Reul hatte oft beklagt, dass die deutschen Behörden hier meist nur hinterherhinken können, weil hierzulande die Möglichkeiten der Überwachung einzelner Personen stark durch den Datenschutz reglementiert ist. "Terroristen telefonieren nicht", sagte Reul, "und im Internet sind wir hierzulande blind."
Das sind die wichtigsten Neuerungen im Verfassungsschutz-Gesetz:
Quellen-Telekommunikations-Überwachung (TKÜ) wird geregelt

Mehr Möglichkeiten für den Verfassungschutz: Innenminister Reul
Geregelt ist im neuen Gesetz eine besondere Form der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ), die Quellen-TKÜ. Sie wird eingesetzt, um verschlüsselte Kommunikation über Messenger-Dienste überwachen zu können. Die Quellen-TKÜ ist seit Jahren umstritten. Sie geht über die klassischen Telekommunikationswege (Telefon, Briefe, Faxe) hinaus und soll auch verschlüsselte Messenger-Dienste und E-Mails erfassen, also beispielsweise Telegram, WhatsApp, Signal oder Threema.
Dafür setzt der Verfassungsschutz dort an, wo die Nachricht noch nicht verschlüsselt ist, also an der Quelle. Das kann beispielsweise ein Smartphone sein. Um die Informationen vor der Verschlüsselung abgreifen zu können, muss auf das Gerät heimlich eine spezielle Überwachungssoftware aufgespielt werden.
Diese wird umgangssprachlich auch "Staatstrojaner" genannt. Es handelt sich also um einen weitreichenden und technisch komplexen Eingriff in die Privatsphäre der zu überwachenden Person. Darum sind der Nutzung enge Grenzen gesetzt.
Auf Bundesebene gab es bereits 2021 eine gesetzliche Anpassung. Mit dem neuen Gesetz erhalte der Landes-Verfassungsschutz dieselben Befugnisse wie der Bundes-Verfassungsschutz, heißt es im Gesetz. Klargestellt wird auch, "dass der heimliche uneingeschränkte Fernzugriff auf Massenspeicher, also die sogenannte Online-Durchsuchung, nicht zulässig ist."
In der Vergangenheit hat NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) immer wieder betont, wie wichtig die Quellen-TKÜ ist:
Wir brauchen weitere Befugnisse, um mit den Entwicklungen der Technik mithalten zu können.
Herbert Reul, NRW-Innenminister
Durch das neue Gesetz zur TKÜ, so Reul jetzt, werde "der blinde Fleck bei uns kleiner".
Recht auf Funkzellenabfrage
Neu im Gesetz ist ein Recht zur Funkzellenabfrage. Auch das ist ein datenschutzrechtlich heikler Eingriff. Bei einer Funkzellenabfrage fordern die Behörden von einem Mobilfunkbetreiber die Daten aller Geräte an, die sich in einem bestimmten Zeitraum mit einem Mobilfunkmast, also der Funkzelle, in einem Gebiet verbunden haben. Neben einem oder wenigen Verdächtigen sind immer auch massenhaft unbescholtene Bürgerinnen und Bürger betroffen. Deshalb steht diese Maßnahme unter Richtervorbehalt.
Zugriff auf Videoüberwachung im öffentlichen Raum

Videoüberwachung
Zu den weiteren neuen rechtlichen Möglichkeiten des Verfassungsschutzes sollen auch neue Zugriffsmöglichkeiten auf Daten gehören wie "die Nutzung von Transportleistungen durch Extremisten oder Agenten fremder Mächte" und "Videokameraaufnahmen im öffentlich zugänglichen Raum".
Kontrolle Jugendlicher ab 14 Jahren
Die Altersgrenze für die Verarbeitung personenbezogener Daten wird von 16 auf 14 Jahre gesenkt, um der zunehmenden Radikalisierung Jugendlicher gerecht zu werden. Dass es überhaupt eine Altersgrenze gibt, wird mit der besonderen Lebenssituation von Jugendlichen begründet, also alle Vorgänge, die grob mit dem Begriff Pubertät erfasst werden können.
Auch dürfen Jugendliche ab 14 Jahren nun vom Verfassungsschutz beobachtet werden, wenn sie als extremismusverdächtig gelten.
Im Gesetzentwurf ist die Rede von "Rücksicht auf eine im jugendlichen Alter als weitgehend fehlend zu unterstellende rationale politische Gesamtorientierung". Auch hier findet wieder eine Angleichung mit der Bundesgesetzgebung statt.
Verdeckte Wohnraumüberwachung wird möglich
In engen rechtlichen Grenzen wird auch die Wohnraumüberwachung ermöglicht. Konkret darf der Verfassungsschutz "verdeckte technische Mittel in Wohnungen einsetzen, um das nicht öffentlich gesprochene Wort abzuhören und aufzuzeichnen sowie Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen herzustellen".
Regelung zur Nutzung von KI
Paragraf 26 regelt den "Einsatz automatisierter Verfahren zur Datenanalyse", dazu gehört auch KI. Aber auch hier sind wieder Grenzen gesetzt: "Der Einsatz selbst weiter lernender Systeme ist unzulässig." Und verboten ist das "Einbeziehen von polizeilichen Datenbanken oder von Daten, die durch den Einsatz eines nachrichtendienstlichen Mittels gemäß § 10 Absatz 1 Nummer 15 erhoben wurden".
Befragt, wo die Grenzen beim Einsatz von KI seien, sagte Reul: "Das wird sich zeigen. Dort, wo aus Faktensammeln Sortieren und Bewerten wird." Die KI könne "nur vorsortieren", ergänzte Verfassungsschutz-Chef Jürgen Kayser. "Bewerten muss am Ende immer der Mensch, ob ein Vorgang extremistisch ist oder nicht."
Mehr Kontrolle durch das Parlament
Aber auch die Kontrolle des Verfassungsschutzes wird mit dem neuen Gesetz gestärkt. So erhält das parlamentarische Kontrollgremium des Landtags mehr Rechte: Es kann mit Zweidrittelmehrheit im Einzelfall Sachverständige beauftragen und erstmals auch Erlasse einsehen, die den Verfassungsschutz betreffen.
Außerdem soll künftig ein Richter zustimmen müssen, bevor eine einzelne Person überwacht wird. Bislang reichte es, wenn die sogenannte G10-Kommission, bestehend aus Vertretern der Landespolitik, solche Fälle prüfte.
SPD will Sachverständige hören
Aus der Opposition im NRW-Landtag kam Zustimmung zur Neufassung des Gesetzes: "Wir leben heute in einer anderen Welt als noch vor 20 Jahren". sagte Christina Kampmann, innenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion. Allerdings kündigte sie an, dass die SPD die inhaltliche Ausgestaltung des Gesetzentwurfs "genau überprüfen" wolle. "Das gilt insbesondere für die Tragweite des Eingriffs in geltende Grundrechte." Ihre Partei wolle dazu eine Sachverständigenanhörung beantragen.
Über dieses Thema berichten wir auch in den WDR-Hörfunknachrichten.
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