Satellitenbild zweigt das Dorf Blatten nach einem Bergsturz in der Schweiz

Nordrhein-Westfalen Gletscherabbrüche und Klimawandel: Werden die Berge gefährlicher?

Stand: 30.05.2025 08:28 Uhr

Nach dem Gletscherabbruch in der Schweiz, der ein Bergdorf verschüttete, droht nun auch noch Überflutungsgefahr. Was löste die Kettenreaktion von Naturgewalten aus und wie gefährlich sind die Berge in Zeiten des Klimawandels? Fragen und Antworten.

Von Katja Goebel

Ein gigantischer Gletscherabbruch im Lötschental im Schweizer Kanton Wallis hat ein Bergdorf mit Geröll und Eis verschüttet. Was hat zur Katastrophe geführt und könnte das möglicherweise durch den Klimawandel bald öfter vorkommen?

Nach Gletscherabsturz droht Flutwelle im Lötschental

Was genau ist im schweizerischen Bergdorf Blatten passiert?

"Es ist eine Kettenreaktion von Naturgefahren, die ganz typisch ist für die Alpen", erklärt der Geologe Flavio Anselmetti von der Universität Bern. Einzelne Felsen und Gestein sind zunächst vom Berg gestürzt. "Diese Masse ist auf einen Gletscher gefallen und dort lagen dann nach ein paar Tagen mehrere Millionen Kubikmeter Material auf dem Eis." Normalerweise bewegt sich ein Gletscher sehr langsam - nur wenige Meter pro Jahr. Doch durch das viele Gesteinsmaterial sei der Gletscher instabil geworden und habe sich dadurch schneller bewegt - auf vier bis acht Meter pro Tag.

An der Gletscherzunge habe man dann schon Eisabbrüche gesehen. Dann erhöhte sich die Geschwindigkeit enorm. Und oben fielen weitere Gesteinsmassen drauf." Dann sei ein großer Teil des Gletschers abgeglitten. Gestein und Eis rollten in Sekundenschnelle ins Tal und schütteten es zu.

Luftaufnahme zeigt eine Lawine, die durch den Abbruch des Birchgletschers ausgelöst wurde

Nach dem Gletscherabbruch im Wallis herrscht nun Überflutungsgefahr

Die Kettenreaktion könnte übrigens noch weiter gehen und fatale Folgen haben: Denn: Eis und Gestein haben im Tal einen Damm gebildet und Flusswasser zu einem See gestaut. Die Häuser von Blatten, die nicht bereits verschüttet wurden, sind bereits im See untergegangen. "Wenn der Damm bricht, gibt es eine Flut, die sehr zerstörerisch sein kann." Weitere Orte sind in Gefahr.

Was sind Bergstürze?

"Es sind eigentlich normale Oberflächenprozesse, die Berge formen. Durch Bergstürze entsteht auch die Form unserer Berge, sie werden gehoben und danach wieder erodiert - zum Beispiel mit Bergstürzen", sagt Flavio Anselmetti.

Ab einer Million Kubikmeter Gestein wird aus einem kleineren Felssturz ein Bergsturz. Das entspricht dem Volumen von 1.000 bis 2.000 Einfamilienhäusern, rechnet das Institut für Schnee und Lawinenforschung vor. Bei Felsstürzen hingegen stürzen Gestein und Felsen mit einem Gesamtvolumen von mindestens 100 Kubikmetern – das entspreche dem Fassungsvermögen von 500 bis 600 Badewannen. Bei einzelnen Steinen mit einem Durchmesser von weniger als 50 Zentimetern spricht man von Steinschlag.

Wie ungewöhnlich sind solche Bergstürze?

Für das schweizerische Lötschental ist ein Bergsturz dieser Dimension ein Jahrtausendereignis. Es gebe aber auch andere Regionen im Alpenraum, wo es ähnliche Ereignisse oder sogar noch größere gegeben habe, so der Geologe Flavio Anselmetti.

"Wir haben es in der Regel viel mit kleineren Steinschlägen oder Felsstürzen zu tun. Das beobachten wir in den letzten Jahrzehnten immer häufiger. Riesige Bergstürze sind selten, aber die Tendenz ist steigend", beobachtet auch Peter Schwitter, der seit vielen Jahren Bergführer und Rettungsspezialist ist.

Das bestätigt auch der Münchner Professor für Hangbewegungen, Michael Krautblatter, am Freitag im WDR-Gespräch. Seit einigen Jahren könne man eine "absolute Häufung" von Felsstürzen in den Alpen beobachten. Die überdurchschnittlich starke Erwärmung des Alpenraums infolge des Klimawandels und die daraus folgende Destabilisierung des Permafrosts seien untrennbar mit dieser Entwicklung verbunden.

Ist der Klimawandel Grund für die Katastrophe?

Ein einzelnes Ereignis direkt auf den Klimawandel zurückzuführen, ist schwierig, sagt Jan Beutel, Professor der Universität Innsbruck. Er untersucht seit Jahren den Zustand von Felsen und Permafrost und Klimaeinflüsse. Dennoch: Durch Gletscherschmelze und schnelles Tauen von Schnee könnten Wasser und Wind das Gestein erodieren. Der Permafrost - die gefrorene Gesteinsschicht - werde immer wärmer, die Schicht, die bei Sommertemperaturen auftaue, immer tiefer. "Auftauen bedeutet aber auch, dass mehr flüssiges Wasser zur Verfügung steht – auch im Inneren des Berges – und das schmiert und fördert die Beweglichkeit, getrieben von der Gravitation", sagte Beutel.

Statistisch sei es erwiesen, dass mehr Felsstürze durch den schwindenen Permafrost ausgelöst werden, erklärt der Geologe Anselmetti. Bei einem Ereignis dieser Dimension müsse man aber vorsichtig sein, dies der Klimaerwärmung zuzuordnen. "Das ist Pech, dass er sich grad im Sturzbereich der Felsmassen befindet."  Neben dem schwindenden Permafrost können aber auch zirkulierendes Wasser oder chemische Veränderung des Gesteins Schwächezonen für Gesteinsbewegungen verursachen.

"Es gab solche Ereignisse auch zu Zeiten stabilen Klimas. Der Gletscher hat mit dem Bergsturz selber nichts zu tun. Das ist Zufall." Auch zirkulierendes Wasser oder chemische Prozesse innerhalb des Gesteins könnten Bewegungen auslösen.

Was bedeutet es, wenn durch Erwärmung die Gletscher verschwinden?

Bergführer Peter Schwitter nimmt seit Jahren Veränderungen wahr. "Was wir in den Bergen schon seit Jahren beobachten, ist, dass die Gletscher unheimlich schnell verschwinden. Zuerst waren es die großen Gletscher, die sich zurückziehen. Und jetzt sieht man das auch in den höher gelegenen Gebieten oberhalb von 3.000 Metern. Sogar in den nordseitigen Flanken verschwinden allmählich überall die Gletscher. Und das ist sehr beunruhigend." Wenn die Temperaturen steigen, habe das einen direkten Einfluss auf die Gletscher. "Die Gletscher haben uns die Berge zusammengehalten."

Talgletscher im Quellgebiet der Rhone in den Schweizer Alpen.

Der Rhonegletscher in den Schweizer Alpen

"Wenn Gletscher schmelzen, geben sie die Talflanken frei, die vorher durch das Eis gestützt wurden. Dann können Talflanken instabil werden", sagt auch Geologe Anselmetti. Wo sich die Gletscherzunge zurückziehe, sehe man eine Häufung von Hangbewegungen und kleinen Stürzen.

Was bedeutet das für die Menschen - werden die Berge gefährlicher?

In alpiner Höhe werde es im Moment ein bisschen gefährlicher. Der Steinschlag im Hochgebirge nimmt zu, sagt Geologe Anselmetti. "Viele alpine Clubhütten stehen zudem auf instabilem Untergrund, weil der Fels sich bewegt. Es gibt Hütten, die müssen abgerissen werden, weil der Permafrost schmilzt und der Untergrund auftaut. Ganze Felsklippen verschieben und deformieren sich." Das beziehe sich auf Gebiete oberhalb von 2.500 Metern.

In tiefer gelegenen Gebieten gebe es andere Naturgefahren. Da könne es eine Zunahme von Niederschlägen geben, weil die wärmere Luft mehr Wasser transportieren kann.

Wie funktioniert das Frühwarnsystem?

Mittlerweile liefern Satelliten großflächig Radaraufnahmen der Schweizer Alpen. Darauf erkennen Expertinnen und Experten, ob und welche Hänge sich bewegen. Allerdings gibt es dabei auch blinde Flecken, heißt es beim Institut für Schnee und Lawinenforschung (SLF). Trete lokal vermehrt Steinschlag auf, könne das ebenfalls auf eine größere Hanginstabilität hinweisen. Gleiches gilt für Risse in Boden und Gestein. "Wenn klar ist, dass sich ein Hang bewegt, gilt es, ihn detailliert zu untersuchen und zu überwachen."

Helfen Schutzmaßnahmen?

Steinschlag in Guttannen im Kanton Bern

Steinschläge können schnell passieren

Die Schweizer Überwachung der Gebirge hatte schon Mitte Mai zu Warnungen geführt, dass oberhalb des Dorfes Blatten ein Bergsturz droht. Als die Spalten im Fels schnell wuchsen, mussten Anwohner das Dorf innerhalb einer Stunde verlassen. Drohende Steinschläge und Murgänge (Gemisch von Wasser mit festem Material) können durch Schutzbauten wie Dämme in vorgegebene Bahnen gelenkt werden.

Gegen Steinschlag können Fangnetze schützen, manche Felsbrocken können auch fest im Boden verankert werden. Bei Hangrutschungen kann das Entwässern des Untergrunds im Einzelfall den Prozess verlangsamen. "Bergstürze haben häufig eine zerstörerische Wirkung und richten erhebliche Schäden an", so das SLF. "Bei Fels- und Bergstürzen bleibt meist nur, die betroffenen Gebiete zu evakuieren."

Unsere Quellen: