Das Verwaltungsgericht in Berlin.
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Beschluss zu Zurückweisungen Mehr als eine "Einzelfallentscheidung"

Stand: 03.06.2025 14:41 Uhr

Innenminister Dobrindt sieht den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin als "Einzelfallentscheidung". Die Bundesregierung müsse ihre Entscheidung zudem nur besser begründen. Doch das greift rechtlich zu kurz.

Eine Analyse von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion

Drei Eilanträge gegen Zurückweisungen von Asylsuchenden hatten vor dem Verwaltungsgericht Berlin Erfolg. Wer bei Grenzkontrollen auf deutschem Staatsgebiet um Asyl bittet, darf nicht einfach so zurückgewiesen werden, ohne dass vorher nach dem sogenannten Dublin-Verfahren geprüft wird, welcher EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist.

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt hat den Beschluss in seinen Reaktionen mehrfach als reine "Einzelfallentscheidung" bezeichnet.

Begründung geht über den Einzelfall hinaus

Rein formal hat das Gericht im Eilverfahren über die konkreten Fälle entschieden. Das ist auch immer die Aufgabe eines Gerichts. Trotzdem greift die Bewertung als reine "Einzelfallentscheidung" rechtlich zu kurz. Denn: Die Begründung des Verwaltungsgerichts Berlin geht weit über den konkreten Fall hinaus. Sie ist sehr allgemein gefasst und ausführlich. Es geht dort nicht nur um die konkreten Umstände der einzelnen Fälle.

Frank Bräutigam, SWR, zum Festhalten der Union an Zurückweisungen

tagesschau24, 03.06.2025 14:00 Uhr

Die ursprünglich zuständige Einzelrichterin hat laut Beschluss den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten (also auch der Bundesregierung) "wegen grundsätzlicher Bedeutung" auf eine Kammer aus insgesamt drei Richterinnen und Richtern übertragen.

Dass hier eine Notlage vorliegt, weil eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung besteht und Deutschland deswegen von den EU-Regeln abweichen darf, sieht das Gericht nicht. Diese Aussage des Gerichts samt Begründung geht deutlich über die konkreten Fälle hinaus.

Argumente der Bundesregierung schon berücksichtigt

Eine Rechtsgrundlage für die Zurückweisungen sei vorhanden, man müsse die Notlage nur besser begründen, hatte Minister Dobrindt nach der Entscheidung sinngemäß gesagt. Man habe vom Gericht ja nur den Hinweis bekommen, dass man die Notlage besser begründen müsse. Das geht so aus dem Gerichtsbeschluss aber nicht hervor.

Denn die Bundesregierung hatte in diesem Eilverfahren die Gelegenheit, ihre Argumente vorzutragen, und hat das auch gemacht. Das Gericht ist auch auf die Argumente eingegangen. Sie haben ihm aber nicht für eine "Notlage" ausgereicht.

Hauptsacheverfahren wahrscheinlich erledigt

Minister Dobrindt hat außerdem darauf verwiesen, man werde eine bessere Begründung im sogenannten Hauptsacheverfahren nachliefern. Zum weiteren Ablauf muss man allerdings wissen: Es ist zwar am Verwaltungsgericht Berlin in einem der Fälle eine Klage im Hauptsacheverfahren anhängig. Zu einer inhaltlichen Entscheidung wird es darin aber wahrscheinlich nicht mehr kommen, weil die Kläger im Eilverfahren ihr Ziel schon erreicht haben. Ein typischer Ablauf wäre nun, dass das Verfahren für erledigt erklärt wird.

Neue Argumente wird die Bundesregierung daher wohl erst in anderen Gerichtsverfahren vortragen können; also wenn zum Beispiel weitere Asylsuchende wegen Zurückweisungen vor das Verwaltungsgericht Berlin oder andere Gerichte ziehen.

Könnten andere Gerichte es anders sehen?

Im konkreten Fall in Berlin sind die aktuellen Beschlüsse endgültig. Die Bundesregierung kann sie nicht mehr angreifen. In einem Fall wie hier sieht das Gesetz keinen Instanzenzug vor. Möglich ist aber, dass vergleichbare Fälle von Zurückweisungen an anderen deutschen Grenzen vor andere Verwaltungsgerichte kommen. Also zum Beispiel Fälle von der Grenze zu Österreich ans Verwaltungsgericht München.

Viele Expertinnen und Experten haben im Vorfeld zum Thema Zurückweisungen die Rechtslage so bewertet, wie es das Verwaltungsgericht Berlin nun getan hat. Also dass die Hürden für eine "Notlage" nach EU-Recht sehr hoch sind.

Natürlich wäre es aber möglich, dass ein anderes Gericht zum Beispiel die Frage der Notlage und die Argumente der Bundesregierung anders bewertet. Spannend wird sein, ob ein anderes Verwaltungsgericht einen vergleichbaren Fall dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zur Prüfung vorlegen wird, weil es inhaltlich sehr viel um EU-Recht geht. Dann hätte man Klarheit auf höchster gerichtlicher Ebene.

Keine Entscheidung über Asylgesuch

Ob die Kläger auch Asyl bekommen, steht durch den jetzigen Beschluss nicht fest. Es ging allein darum zu prüfen, welcher EU-Staat das Asylverfahren durchführen muss. Ob das Asylgesuch am Ende Erfolg hat, wäre dann ein weiterer Prüfungsschritt.

Außerdem hat das Gericht in Berlin festgestellt: Die Prüfung, welcher Staat zuständig ist, kann auch im grenznahen Gebiet erfolgen. Die Kläger haben also kein Recht darauf, über den Grenzübertritt hinaus weiter ins Bundesgebiet einzureisen.

Aktenzeichen VG 6 L 191/25