Kinder bestaunen eine alte Schriftrolle

Sachsen-Anhalt 15 Jahre "Max geht in die Oper" in Halle: "Das Projekt geht voll auf"

Stand: 28.05.2025 16:10 Uhr

Die Bürgerstiftung Halle ermöglicht Kindern aus finanziell und sozial schwächeren Familien kostenlose Kulturbesuche. Was als Experiment begann, ist mittlerweile eine etablierte Kooperation in mehreren Stadtteilen. Ein Besuch bei den "Max"-Kindern zum Jubiläum.

Von Hanna Kazmirowski, MDR SACHSEN-ANHALT

Für ihren letzten gemeinsamen Kulturausflug besuchen die "Max"-Kinder die historische Marienbibliothek neben der Marktkirche in Halle. Es ist ein bisschen miefig zwischen den Regalen. Auf den Buchrücken stehen krakelige lateinische Buchstaben in schwarzer Tinte. Bibliotheksleiterin Anke Fiebiger zeigt den Neunjährigen, was es alles zu entdecken gibt.

"Schaut mal, auf so einem Papier haben die Menschen früher geschrieben. Das könnt ihr mal anfassen, wie fühlt sich das an?", fragt sie in die Runde. Eine weiße Rolle geht durch die Kinderhände, die aufmerksamen Blicke folgen. "Wie Leder!", ertönt die Antwort. "Ja, fast. Das ist Pergament", erklärt die Bibliothekarin.

Oper, Theater, Museum – Halle kulturell entdeckt

Die Kinder gehören zu den insgesamt 550, die seit 2010 an dem Projekt "Max geht in die Oper" teilgenommen haben. Acht verschiedene kulturelle Orte haben sie im Lauf eines Jahres in Halle entdeckt. Der Projektname steht dabei nur beispielhaft für alles, was sie kennengelernt haben: die Oper, das Neue Theater, den Botanischen Garten oder das Landesmuseum. Alle Ausflüge sollen möglichst interaktiv sein. So bastelten sie Traumfänger, bauten Puppen im Puppentheater oder kochten über Feuer wie die Steinzeitmenschen.

Ich hoffe, dass ich dich irgendwann mal wieder sehen werde. Du bist richtig cool! Pavan zu seinem Paten Henry |

Diesmal, nach der Führung durch die Bibliothek, erstellen die Kinder ein eigenes Buch, in das sie ihre eigenen Geschichten schreiben können. Teilnehmer Pavan hat sofort eine Idee: "Ich will die Geschichte von Marco Polo reinschreiben", sagt er und malt große Buchstaben auf den Buchdeckel. Sein Pate Henry Schramm hilft ihm dabei.

Denn das ist das Besondere an dem Konzept: Jedes Kind wird von einem persönlichen Paten begleitet. Das kann eine Studentin sein oder ein Rentner − über alle Generationen hinweg. Das Loch aus fehlenden Ehrenamtlichen nach der Corona-Pandemie sei längst Geschichte; mittlerweile stünden interessierte Erwachsene sogar wieder auf der Warteliste, sagt die Projektleiterin Juliane Graichen.

Kinder ohne Zugang zu Kulturangeboten

Um die Stimmung so vertraut und familiär zu halten, seien die Gruppen bewusst klein gehalten. Für mehr als drei Gruppen mit je maximal 15 Kindern gebe es sowieso keine Ressourcen, sagt Graichen. Die Stadt Halle fördere zwar die Bürgerstiftung zu einem großen Teil, der Rest müsse aber mit Spenden finanziert werden. Deshalb, sagt Graichen, sei sie zufrieden mit dem aktuellen Umfang und habe nicht vor, mehr Teilnehmende aufzunehmen. "Auch wenn ich im Prinzip jedem Kind so eine Patenschaft wünsche", wie sie sagt.

Seit es das Projekt gibt, haben sich feste Kooperationen mit Grundschulen in verschiedenen Halleschen Stadtteilen entwickelt. Sie kommen aus dem Osten wie Diemitz, Freiimfelde oder dem Medizinerviertel, aus der Silberhöhe im Süden und der Neustadt im Westen.

Ein kind schreibt etwas in ein Tagebuch, während ein Erwachsener zusieht.

Teilnehmer Pavan bastelt sein eigenes Buch. Sein Pate Henry steht zur Seite.

Sozialpädagoginnen und -pädagogen wählen die Kinder für das Projekt aus. "Diese Kinder haben sonst meistens keinen Zugang zu Kulturangeboten", sagt Graichen. Die Gründe dafür seien vielfältig. "Wenn ich die Sprache nicht kann, kann ich auch nur schwer ins Museum oder die Oper gehen." Es scheitere auch manchmal am kulturellen Verständnis, an fehlenden positiven Erfahrungen der Eltern. "Was ich nicht kenne, kann ich meinem Kind nicht zeigen."

In manchen Familien sei auch einfach das Finanzielle ein Faktor. Die "Max"-Ausflüge der Bürgerstiftung hingegen sollen den Kindern die Chance geben, an allen Formen von Kultur teilzuhaben.

"Max geht in die Oper" seit 2008

Die Idee für "Max geht in die Oper" entstand 2008, erinnert sich die Mitbegründerin Graichen. Nach mehr als einem Jahr Vorbereitung probierte die Bürgerstiftung das Konzept der Kulturpatenschaft zum Freiwilligentag 2010 einmal aus. "Wir haben gesehen, dass das voll aufgeht. Und auch jetzt, 15 Jahre später, ist das Projekt noch wahnsinnig lebendig. Ein paar Paten sind sogar seit Anfang an dabei."

Mittlerweile gibt es auch noch ein weiterführendes kulturelles Bildungsprojekt der Bürgerstiftung: Bei "Max macht Oper" werden die Kinder mithilfe von professionellen Kunst- und Kulturschaffenden selbst kreativ.

EIne Frau und eine Gruppe Kinder

Juliane Graichen hat "Max geht in die Oper" seit 2008 mitentwickelt.

Wie viel von den Kulturerlebnissen langfristig bei den Kindern hängen bleibt, kann das Team nicht wissen. Aber Graichen sagt, sie erinnere sich an Begegnungen mit ehemaligen Teilnehmern, die ihr den positiven Effekt des Kulturprojekts gezeigt hätten. Auch Pate Henry sieht es realistisch: "Die Gefahr, dass die Kultur wieder einschläft, besteht, weil die Kinder später nicht mehr an uns und die Organisation gebunden sind. Es ist also die Frage, ob die Eltern dann nicht doch was davon übernehmen. Aber mindestens die gute Erinnerung bleibt."

Patenschaften enden nach einem Jahr

Und von guten Erinnerungen scheint es viele zu geben: Für manche Mädchen war ein Highlight die Kinderoper "Biene Maja", für Pavan waren es die Kuscheltiere und Puppen im Theater. Manesa möchte jetzt am liebsten in einer Musikschule Klavier lernen und fährt im Sommer zum Freilufttheater in Harzgerode − mit ihrer Familie statt mit ihrer Patin.

Denn in den meisten Fällen verlaufen sich die Patenschaften nach einem Jahr, wenn die Ehrenamtlichen neue Patenkinder zugeteilt bekommen. Pavan ist sich dessen bewusst. "Ich hoffe, dass ich dich irgendwann mal wieder sehen werde. Du bist richtig cool", sagt er zu seinem Paten Henry. "Das ist schön. Da rufst du mich an und dann treffen wir uns mal so", schlägt er vor.

MDR (Hanna Kazmirowski, Max Schörm)