
Thüringen KZ-Außenlager in Thüringen: Wie Archäologen Geschichte und NS-Verbrechen freilegen
Am Stadtrand von Ellrich im Norden von Thüringen ballt sich Geschichte: Ein fast verschüttetes Kapitel betrifft ein Außenlager des KZ Mittelbau-Dora. Bald nach Kriegsende zog sich der Eiserne Vorhang quer über das Gelände. Die Grenze zwischen DDR und BRD verlief direkt über den früheren Appellplatz, so geriet das KZ-Außenlager Ellrich-Juliushütte in Vergessenheit. Nun gelang es Forschern, den Lagerplan zu rekonstruieren, was wichtig ist, um einen würdigen Ort der Erinnerung zu schaffen.
- Im nordthüringischen Ellrich soll das in Vergessenheit geratene Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers als Erinnerungsort erschlossen werden.
- Bisher fehlte ein detaillierter Lager-Plan, um Spuren zu suchen und zu sichern. Archäologen aus Thüringen und Niedersachsen gelang jetzt die Rekonstruktion.
- Künftig sollen die von den Nazis Ermordeten "ihre Namen zurückbekommen", versichert Bürgermeister Henry Pasenow.
Gleich hinter dem Bahnhof von Ellrich beginnt der Wald. Er zieht sich dicht und wild den Berg hoch, im sogenannten Kohnstein mussten zwischen 1944 und 1945 rund 8.000 KZ-Häftlinge schuften. "Der gesamte Bereich hier ist in Richtung Mittelbau-Dora, wo man die Raketen gebaut hat, mit diversen Höhlensystemen verbunden worden. Die mussten sie also unterirdisch anlegen. Das war eine körperlich sehr harte Arbeit", erklärt dazu Bürgermeister Henry Pasenow.
Tausende Menschen kamen im KZ-Außenlager Ellrich-Juliushütte um
Rund 5.000 Menschen sind im Außenlager Ellrich-Juliushütte gestorben, viele von ihnen stammten aus Belgien und Frankreich. Nach dem Krieg erinnerte hier nichts mehr an sie, vielmehr wurden entlang des Grenzstreifens Gebäude gesprengt und und Flächen planiert, um eine freie Sicht zu schaffen, später ließ man der Natur freie Bahn. Lange Zeit wurde deswegen gerätselt, wo genau sich wohl die menschlichen Überreste der KZ-Häftlinge befinden würden.

Ellrichs Bürgermeister Henry Pasenow neben einem Gedenkstein, der an die KZ-Häftlinge erinnert, die vor allem aus Frankreich und Belgien kamen.
"Also am Anfang wurden die Leichen nach Dora gebracht. Dann hat das nicht mehr funktioniert, weil das zu viele waren. Und dann hat man hier ein Krematorium gebaut, um die ermordeten Insassen zu verbrennen. Die Asche hat man hier direkt vor uns in dieses Gelände verstreut", berichtet Paenow weiter.
Forschungsprojekt: Spuren von Massengrab gesichert
Ein Massengrab, an einem Abhang. Schon lange gab es die Vermutung, dass es sich hier befinden könnte, vor allem nach einem Knochenfund im Jahr 2019. Aber die endgültige Bestätigung kam erst vor kurzem. Durch ein gemeinsames Forschungsprojekt der archäologischen Landesämter von Thüringen und Niedersachsen. Sie führten Grabungen in dem entsprechenden Gebiet durch, aus Respekt vor den Toten nur sehr vorsichtig und in sehr kleinem Rahmen, wie Thüringens Landesarchäologe Sven Ostritz erläutert: "Das wird jetzt so gesichert, dass keiner mehr eingreifen kann. Aber so, dass auch kenntlich ist, wo das Grab ist, damit Hinterbliebene einen Ort haben, wo sie ihrer Angehörigen gedenken und trauern können."
Modell hilft, das Gelände als Erinnerungsort zu erschließen
Nicht nur zwei Massengräber wurden im Rahmen des Forschungsprojekts verifziert. Es gelang den Archäologen erstmals auch, einen Gesamtplan des Lagers zu erstellen. Hierfür wurde das Gelände von einem Flugzeug aus per Laserstrahl untersucht, es wurde quasi gescannt, um ein Modell zu erzeugen, das die Archäologen dann mit historischen Luftbildern und Vegetationsmerkmalen verglichen. Der dabei entstandene Plan ist nun wichtig für die weitere Erschließung des Geländes. Etwa um neue Schilder aufzustellen, wie Sven Ostritz ausführt: "Der Laie kann ja in den Resten, die im Gelände vorhanden sind, nicht absehen, was das mal war. Da braucht man eine Erläuterung dazu." Vor der Erforschung sei es gar nicht möglich gewesen, so ein Wegesystem anzulegen, ohne Gefahr zu laufen, etwas zu beschädigen", betont der Archäologe: "Denn zuvor musste man ja erst mal wissen, was denn wo noch erhalten ist."
Archäologie ermöglicht Einblick in mörderischen Lageralltag
Neuen Wege und neue Schilder – die Gedenkstätte Mittelbau-Dora will vor diesem Hintergrund ihre Vermittlungsarbeit in Ellrich ausbauen. Die archäologische Forschung sei dafür von großem Wert, sagt Leiter Andreas Froese: "Wir wissen nun mehr über die Geschichte dieses Lagers, über die Alltagsgeschichte, darüber, wie die arbeitsteilige Organisation von Verbrechen in diesem Lager funktioniert hat", stellt er fest. So sei es nun leichter, Erinnerungsberichte mit Beschreibungen im dreidimensionalen Raum zuzuordnen. "Wenn wir wissen, wo sich das Häftlingskrankenrevier befand, wo bestimmte Baracken standenn, dann ist das ein weiterer wichtiger Mosaikstein für das Gesamtbild des einstigen KZ-Außenlagers."

Die freigelegten Fundamente einer Krankenbaracke im ehemaligen KZ-Außenlager Ellrich-Juliushütte
Wir wissen nun mehr über die Geschichte dieses Lagers, darüber, wie die arbeitsteilige Organisation von Verbrechen funktioniert hat. Andreas Froese | Archäologe
Namen der Ermordeten sollen sichtbar werden
Auch der Ellricher Bürgermeister Henry Pasenow wird mit den Forschungsergebnissen arbeiten, gemeinsam mit seinem Amtskollegen auf niedersächsischer Seite ist er dabei, eine Liste mit den Namen der Toten aus den Massengräbern anzufertigen: "Also die Gemeinde Walkenried und die Stadt Ellrich sind übereinstimmend der Meinung, dass jeder namentlich bekannte Ermordete hier auch seinen Namen zurück bekommt. Wir wollen die Namen hier entsprechend sichtbar machen."
Es wird wohl noch ein bisschen dauern, bis die Namen vor Ort auftauchen. Denn jeder Schritt hier muss aufgrund der Landesgrenze und verschiedenen Grundstückseigentümern mit vielen Beteiligten abgesprochen werden. Langsam geht es voran.
Quelle: MDR KULTUR (Mareike Wiemann), Redaktionelle Bearbeitung: ks